Tuchfuehlung
in den Wellen, stecke meine Nase ganz tief in den frischen, verführerischen Duft, streiche über meine Haut, über diese glatte, weiche Haut... Die freut sich über diese Aufmerksamkeit, ich fühle langsam wieder Leben in mir. Leben, das die Trauer verscheucht, die Einsamkeit verjagt. Noch ein paar Minuten, dann hat auch das Alleinsein ein Ende.
Ich lasse mich fallen in die Wärme des Wassers, in die Ver f ü hrung des Duftes, der mich umhüllt, ich lasse mich fallen in die Berührung meiner Hände. Sie erobern meinen Körper, jeden Zentimeter meiner Haut. Und ich halte sie nicht auf, zieh sie nicht zurück, lasse zu, dass sie das tun, was sie schon immer tun wollen ...
Ich fühle mich wohl. In mir. Mit mir. Für diesen Moment lang.
Ich könnte so liegen bleiben. Für immer und ewig.
Ich schließe die Augen.
Doch unbarmherzig wie das Leben: die Hausklingel. Gerade jetzt.
Ich werfe mir mein Weihnachtsgeschenk über.
Das hängt schon an der Badezimmertür. Markus, Michael, Vera und Sophia haben mir einen schwarzen Bademantel aus Seide geschenkt.
Er hüllt mich sanft ein. Ich öffne die Tür.
Leon!
Er starrt mich an. Sagt kein Wort. Starrt mich mit vernebeltem Blick an.
Ich zieh ihn in die Wohnung, damit er nicht auf der Türschwelle festwächst.
«Mensch, Zeno!»
Ja, seine Augen verraten ihn.
Wenn ich jetzt nicht ganz schnell verschwinde, dann reißt er mir den Bademantel vom Körper und verschlingt mich als Vorspeise.
Aber ich verschwinde nicht.
Ich schicke ihm ein Lächeln. Ein ganz besonderes. Mir ist egal, was jetzt passiert. Mein Abend fängt jetzt an. Der Heilige Abend ist bald vorbei. Noch zwei Stunden. Dann bin ich gerettet.
«Das erste Zimmer rechts!», sage ich. «Muss nur noch kurz die Gans versorgen!»
Ich verschwinde in der Küche.
Leon verschwindet in meinem Zimmer.
Fünf Minuten später liege ich neben ihm. Haut an Haut. Ein schöner Körper. Ich könnte ihn stundenlang anschauen. Aber Leon will mehr, will alles, sofort. Nein, keinen Champagner.
Leon will mich. Und ich? Champagner also später.
Ich schalte den Kopf ab. Ich lasse mich fallen. Und bin verloren. Hoffnungslos verloren. Es hat mich gepackt, zieht mich hinein, ich will mehr, immer mehr. Das ist der Anfang einer ganz besonderen Sucht!
Wir trennen uns nur, weil es klingelt.
Es ist schon elf. Kuno, Bruno und Robert stehen vor der Tür.
Es war ein Fehler, sie einzuladen. Das weiß ich, als sie vor mir stehen.
Aber jetzt ist es zu spät.
Die Weihnachtsgans duftet verführerisch. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ich bin froh festzustellen, dass ich auch noch den ganz normalen Hunger spüren kann ...
Meine Gäste stürzen sich auf die Getränke. Sie sehen aus, als müssten sie sich heute besaufen. Gegessen haben sie schon. Bei ihren Müttern und Vätern, Schwestern und Brüdern. Wie das so üblich ist an einem Tag wie diesem. Zum Glück wechseln sie von selbst das Thema.
Ich bin der Einzige, der sich lustvoll auf die Gans stürzt. Leon hat momentan auch keinen Appetit auf Weihnachtsgans. Sein Hunger richtet sich auf ein anderes Objekt. Die Sprache seiner Augen ist eindeutig. Sie führt in meine Ri c h tung. Auch er kippt sich den Rotwein rein, als wäre es Traubensaft. Zehn Flaschen hab ich besorgt. Zwei davon sind schon leer ...
Eine höchst seltsame Stimmung.
Was für ein Film läuft hier ab?
Im Fernseher läuft jetzt ein alter Western. Ein Video aus der Sammlung meines Vaters. Alle sitzen davor. Einschließlich Zeno Zimmermann. Aber ich will das Leben aus der Kon serve nicht. Mir reicht das Leben live. Hier und jetzt.
Meine Augen wandern unauffällig umher. Zwischen den Anwesenden hier läuft viel mehr, als auf dem Bildschirm. Bloß hab ich noch nicht so genau herausgefunden, was hier eigentlich läuft. Wer will hier was von wem? Klar ist nur, dass alle irgendetwas wollen. Alle, außer mir. Stimmt das? Nicht mal das weiß ich. Ich spüre nur eine seltsam knistern de Spannung im Raum.
Die vierte Flasche ist leer. Die Aschenbecher sind voll. Die Lampen sind ausgeschaltet. Vier Kerzen brennen.
Eben noch saßen sie auf dem gelben Sofa. Inzwischen liegen sie auf dem Teppich. Ziemlich nah beieinander. Nur Leon sitzt noch in seinem Sessel, raucht eine Zigarette nach der anderen und trinkt sein Glas leer. Ab und zu schaut er in meine Richtung. Wenn sich unsere Blicke treffen, schaut er weg. Leons Alarmlampen funktionieren gut.
Auch ich sitze in meinem Sessel, öffne die fünfte Flasche Wein, fülle die
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