Tür ins Dunkel
unzählige Schnittwunden hatte. Karten waren einfach nicht stabil und nicht scharf genug, um solche Verletzungen zu verursachen... und dennoch taten sie es, peitschten Howard, der vor Schmerz schrie.
Tolbecks tastende Hand fand den Türknopf, aber er ließ sich nicht drehen. Die Tür war verriegelt. Tolbeck hätte sich in Sekundenschnelle umdrehen, die Tür aufschließen und aus der Hütte stürzen können, aber er starrte wie hypnotisiert auf das Spektakel im Wohnraum.
Seine Todesangst trieb ihn zur Flucht, doch zugleich lahmte sie sein Reaktionsvermögen und seine Beine. Die Karten fielen leblos zu Boden, wie zuvor der Teppich. Es sah so aus, als trüge Renseveef blutrote Handschuhe. Das Kamingitter stürzte um; ein brennendes Holzscheit schoß quer durchs Zimmer und traf Renseveer, der vor Entsetzen wie gelähmt war und nicht einmal auszuweichen versuchte. Das Geschoß war schon zur Hälfte von den Flammen verzehrt. Als es sich in Renseveers Magengrube bohrte, zerfiel ein Teil zu schwarzer Asche, die auf seine Schuhe rieselte, Der andere Teil des Scheits war jedoch hart und etwas gezackt und bildete einen grausamen Speer, der tief in Renseveers Leib eindrang und dabei nicht nur Blutgefäße durchtrennte und innere Organe verletzte, sondern ihn auch noch verbrannte. Dieser grauenvolle Anblick löste endlich die Erstarrung, die Tolbeck befallen und ihn wertvolle Sekunden gekostet hatte. Er schob den Riegel zurück, riß die Tür auf, stürzte in die stürmische Nacht hinaus und rannte um sein Leben. Die Lufttemperatur im Motelzimmer war so rasch angestiegen, wie sie zuvor gefallen war. Es war wieder warm.
Dan Haldane fragte sich, was geschehen war-oder fast geschehen war. Was hatten diese jähen Temperaturveränderungen zu bedeuten? War ein okkultes Wesen einige Sekunden lang gegenwärtig gewesen? Wozu war es hergekommen, wenn nicht, um Melanie anzugreifen? Und warum war es plötzlich wieder verschwunden?
Melanie schien zu spüren, daß die Gefahr vorüber war, denn sie lag jetzt wieder ganz ruhig unter der Decke. Dan stand neben ihrem Bett und blickte auf sie hinab, und zum erstenmal fiel ihm auf, daß die Kleine später ge* nauso schön wie ihre Mutter werden würde. Seine Augen schweiften zu Laura, die neben ihrer Tochter fest schlief.
Ihr entspanntes liebreizendes Gesicht erinnerte ihn an Madonnenbildnisse, die er in Museen bewundert hatte. Ihre dichten, seidigen kastanienbraunen Haare auf dem Kissen sahen im matten Schein der Lampe aus, als wären sie aus dem rotgoldenen Licht eines Sonnenuntergangs im Herbst gesponnen, und Dan konnte nur mit Mühe der Versuchung widerstehen, sie durch seine Finger gleiten zu lassen. Er ging zu seinem eigenen Bett, legte sich auf den Rükken und starrte an die Decke. Er dachte an Cindy Lakey, die von dem rasend eifersüchtigen Freund ihrer Mutter umgebracht worden war. Er dachte an seinen Bruder Delmar, der von seinem drogensüchtigen Adoptivvater ermordet worden war. Natürlich dachte er auch an seine Schwester. Es waren immer diese drei Namen, die ihn in schlaflosen Nächten verfolgten: Cindy Lakey, Delmar, Carrie. Als Dan seine Schwester nach mühseliger Suche endlich gefunden hatte, lag auch 5ie schon auf einem Friedhof. Carrie, die beim Tod ihrer Mutter immerhin schon sechs Jahre alt gewesen war, hatte die plötzliche totale Auflösung ihrer Familie nicht verkraftet und mit Verhaltensstörungen darauf reagiert. Das hatte eine Adoption verhindert. Sie wanderte aus dem Waisenhaus in verschiedene Pflegefamilien, wurde ins Waisenhaus zurückgeschickt, kam in neue Pflegefamilien und gewann dadurch immer stärker das Gefühl, nirgends hinzugehören, überall unerwünscht zu sein. Sie begann von ihren Pflegeeltern wegzulaufen, und es fiel den Behörden immer schwerer, sie zu finden und zurückzubringen. Mit siebzehn tauchte sie endgültig unter. Alle Fotos, die es von ihr gab, bewiesen, daß sie ein hübsches Mädchen war, aber sie hatte sich in der Schule wenig Mühe gegeben und besaß keine Berufsausbildung. Wie so viele andere hübsche Mädchen aus kaputten Familien wählte sie die Prostitution, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen -besser gesagt, sie fiel der Prostitution zum Opfer, denn sie hatte ja kaum eine andere Wahl gehabt.
Sie war 28 Jahre alt und ein gefragtes Callgirl, als ihr kurzes unglückliches Leben ein jähes Ende fand. Einer ihrer Kunden wollte sie zu irgendwelchen Perversitäten zwingen, und als sie nicht willfährig war, brachte er sie um. Sie starb
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