Tür ins Dunkel
oder entführen zu können. Und auch das FBI war interessiert daran zu wissen, wo Melanie war, um die Leute auf frischer Tat ertappen zu können/ die es auf Melanie abgesehen hatten. Es sei denn, daß es das FBI selbst war, das es auf Melanie abgesehen hatte. Laura hatte wieder jenes beklemmende Gefühl, in einem Alptraum gefangen zu sein. Die Bedrohung schien überall zu lauern. Und was am schlimmsten war: Sie wurden nicht nur von Menschen bedroht, sondern auch von einem völlig unbekannten Etwas.
Sich verstecken. Das war das einzige, was sie im Augenblick tun konnten. Sie brauchten einen Ort, wohin niemand ihnen folgen konnte, wo niemand sie finden würde.
Laura griff nach dem Bleistift und schrieb: Wohin werden wir gehen? »Später«, flüsterte Earl. »Jetzt müssen wir uns beeilen.« >Es< konnte jederzeit kommen! Earl half Laura im Schlafzimmer, die beiden Koffer für sie und Melanie zu packen. >Es< konnte jederzeit kommen! Und die Tatsache, daß sie keine Ahnung hatte, was >Es< war - daß sie sich sogar etwas töricht vorkam, an die Existenz dieses >Es< zu glauben -, vermochte ihre Furcht nicht zu mindern. Als die Sachen gepackt waren und sie ihre Mäntel angezogen hatten, rief Laura mehrmals nach Pepper, aber die Katze kam nicht, und Laura konnte sie nirgends im Haus finden. Sie mußte sich irgendwo im Haus versteckt haben. »Lassen Sie sie hier«, flüsterte Earl. »Jemand kann morgen vorbeifahren und sie füttern.« Sie gingen durch die Waschküche in die Garage. Die Lampen im Haus ließen sie brennen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Earl legte das Gepäck in den Kofferraum von Lauras blauem Camaro. Sie brauchte ihn nicht zu fragen, warum sie ihren Wagen nahmen und nicht den seinigen. Sein Auto stand vorne am Straßenrand, und wenn die FBI-Agenten Laura und Melanie darauf zugehen sehen würden, könnten sie allerhand Fragen stellen und sie vielleicht sogar daran hindern wegzufahren. Es war natürlich durchaus möglich, daß diese heimliche Flucht ein Fehler war, denn vielleicht wollte das FBI ihnen nur helfen. Vielleicht aber auch nicht. Es schien jedenfalls am vernünftigsten zu sein, nur Earl Benton zu vertrauen. Er schob Melanie auf den Rücksitz und schnallte sie an. Laura nahm auf dem Beifahrersitz Platz und drehte sich nach ihrer Tochter um. In der geschlossenen Garage, mit dem Standlicht als einziger Beleuchtung, wirkte das hagere Gesicht mit den scharf hervortretenden Knochen weicher und voller. Zum erstenmal bemerkte Laura, wie hübsch ihr kleines Mädchen sein würde, sobald es ein wenig zunahm. Einige Pfunde mehr und seelischer Friede - das würde Melanie wundersam verwandeln, und mit der Zeit würde sich beides einstellen. Laura konnte plötzlich den Schmetterling in der Raupe erkennen. Wie ein Malerpinsel, so würde die Zeit neue Erfahrungen und Emotionen über Melanies Qualen legen, und wenn die Farbschicht von Tagen und Wochen und Jahren erst einmal dick genug war, um die schrecklichen Erlebnisse mit ihrem Vater zu überdecken, würde sie nicht mehr dieses eigenartige eckige Geschöpf mit der leichenblassen Haut und den toten Augen sein, sondern ein bezauberndes Mädchen. Diese Erkenntnis gab Laura neue Hoffnung.
Noch wichtiger war jedoch, daß das schmeichelnde Spiel von Licht und Schatten ihr offenbarte, wie ähnlich ihre Tochter ihr sah, und das übte auf sie eine starke Wirkung aus. Sich in Melanie wiederzuerkennen, machte ihr ganz deutlich, daß die Leiden des Kindes auch die ihrigen waren, daß die Zukunft des Kindes auch die ihrige war, und daß es für sie selbst kein Glück geben konnte, bis auch Melanie glücklich sein würde. Und diese Erkenntnis stärkte Lauras Entschlossenheit, die Wahrheit herauszufinden und ihre Feinde zu besiegen - selbst wenn die ganze verdammte Welt sich gegen sie verschworen haben sollte!
Earl setzte sich ans Steuer und sagte zu Laura: »In den nächsten Minuten wird es ziemlich wild hergehen.«
»Es ist schon wild hergegangen«, erwiderte sie, während sie den Sicherheitsgurt anlegte.
»Ich habe einen Spezialkurs mitgemacht, in dem einem beigebracht wird, Terroristen abzuhängen. Ganz so rücksichtslos, wie es den Anschein hat, werde ich also nicht fahren.«
»Rücksichtsloses Fahren stört mich nicht«, sagte Laura. »Nicht nachdem ich vorhin dieses Wind-Ding in meine Küche stürzen sah. Außerdem dachte ich schon immer, daß es Spaß machen müßte, wie James Bond zu fahren.« Er lächelte ihr zu. »Sie haben Mumm in den Knochen!« Während
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