Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
meisten Bücher auch keine riesigen Auflagen erreichen und die wenigsten Autoren von ihren Büchern leben können, kommen doch jedes Jahr mehr Neuerscheinungen auf den Markt. Neben der Belletristik boomt vor allem der Markt für Sachbücher. Fast alle Bücher, die in Europa oder den USA für Furore gesorgt haben, werden auch ins Türkische übersetzt. Auf dem Buchmarkt ist das gesamte politische Spektrum vertreten. Angefangen von rechtsradikalen, krude antisemitischen Verschwörungstheorien (auch »Mein Kampf« erzielte in der türkischen Übersetzung im Zuge der nationalistischen Welle hohe Auflagen) über linke, sozialistische Theorie bis hin zu den Tabuthemen der Türkei wie die Armenierfrage und der kurdische Befreiungskampf ist im Buchladen alles zu finden. Eine Vorzensur findet nicht statt.
Ob gegen ein Buch nach Erscheinen ein Strafverfahren eingeleitet wird, ist für den Verleger oft schwer zu kalkulieren. Ragip Zarakolu, einer der Veteranen unter den linken Verlegern, der sowohl mit seinen Büchern, die er zu allen schwierigen Themen publizierte, wie auch im Schriftstellerverband seit Jahrzehnten gegen die juristische Nachzensur kämpft, weiß bis heute nicht, ob er wegen eines Buches Schwierigkeiten bekommt oder nicht. Er hat Bücher über die Armenierfrage verlegt, von denen er nie gedacht hätte, dass sie unbeanstandet geblieben wären, und sich andererseits Verfahren eingehandelt für Publikationen, die alle Beteiligten als politisch unproblematisch eingestuft hatten. Ragip druckt deshalb, was er für wichtig hält, ohne sich im Vorfeld noch Gedanken darüber zu machen, was der Staatsanwalt davon halten könnte.
Mit der Ausnahme von Elif Shafak, die eine der Figuren in ihrem Roman »Der Bastard von Istanbul« über den Völkermord an den Armeniern erzählen lässt und deshalb wegen »Beleidigung des Türkentums« angeklagt, aber freigesprochen wurde, sind die übrigen Verfahren gegen Schriftsteller in den letzten Jahren nicht wegen ihrer Bücher, sondern wegen politischer Äußerungen in Artikeln oder Interviews angestrengt worden. (Das berüchtigte Verfahren gegen Orhan Pamuk geht auf ein Interview im »Zürcher Tagesanzeiger« zurück.) Am übelsten ging die Justiz gegen den armenischen Menschenrechtler und Journalisten Hrant Dink vor, der als Einziger wegen Beleidigung des Türkentums auch wirklich verurteilt wurde.
Hrant Dink wurde im Januar 2007 vor seiner Redaktion auf offener Straße von einem jugendlichen Nationalisten erschossen. Eine Sammlung seiner Artikel erscheint 2008 auch auf Deutsch.
Leider sind in der Vergangenheit nur von den ganz Großen der türkischen Literatur – also Yasar Kemal, Orhan Pamuk, Nazim Hikmet und Aziz Nesin – deutsche Übersetzungen erfolgreich verlegt worden. In letzter Zeit sind allerdings auch Bücher von Elif Shafak, Zülfü Livaneli, Nedim Gürsel und anderen, jüngeren Autoren, dazugekommen. Mit der Türkei als Gastland der Buchmesse 2008 hat sich dieser Trend noch verstärkt. Eine sehr verdienstvolle Initiative gibt es bereits: Der Zürcher Unionsverlag bringt mit finanzieller Unterstützung der Bosch-Stiftung eine »Türkische Bibliothek« heraus. In dieser Reihe werden Romane türkischer Autoren übersetzt, die für eine bestimmte Epoche exemplarisch sind. Die Reihe beginnt mit Halid Ziya Usakligil und dessen Roman im ausgehenden Osmanischen Reich um die Jahrhundertwende und reicht bis zu jungen Autoren wie Murat Uyurkulak und Murathan Mungan, die in ihren Büchern die aktuelle Situation des Landes literarisch verarbeiten (www.tuerkische-bibliothek.de).
Türkeibesucher, vor allem diejenigen, die nach Istanbul kommen, finden allerdings auch ein reiches Sortiment deutscher, englischer und französischsprachiger Literatur vor Ort, so dass niemand auf Lektüre verzichten muss, auch wenn er des Türkischen nicht mächtig ist. In Istanbul gibt es sogar eine deutsche Buchhandlung, und jeder bessere Buchladen der Stadt hat zumindest auch englische Bücher im Angebot. Besonders interessant sind diverse Antiquariate in Beyoglu oder Kadiköy, wo man etliche überraschende Entdeckungen von Büchern in deutscher Sprache machen kann. Für Bücherfreunde lohnt sich auch ein Besuch des Büchermarktes am Rande des Großen Basars in der Altstadt. Der offene Büchermarkt liegt gegenüber dem Haupteingang der Istanbuler Universität am Beyazit-Platz.
Film
Der türkische Film, der mich persönlich bis heute am meisten beeindruckt hat, ist »Yol«, zu Deutsch »Der Weg«.
Weitere Kostenlose Bücher