Türkisches Gambit
Er ritt ganz allein nach Plewna, kam unter dem Schutz der Pressearmbinde bis an die vorderste Linie des Gegners heran und brachte es sogar fertig, einen türkischen Oberst zu interviewen.
»Monsieur Perepjolkin hat mir liebenswürdigerweise erklärt, wie ich die Stadt erreiche, ohne eine Kugel einzufangen«, erzählte d’Hévrais einem begeisterten Zuhörerkreis. »Es war tatsächlich nicht weiter schwierig, denn die Türken hatten nicht einmal Spähposten aufgestellt. Den ersten Asker traf ich am Stadtrand. ›Was glotzt du so?‹ schreie ich ihn an. ›Bring mich sofort zum obersten Chef.‹ Im Orient, meine Herren, kommt es darauf an, sich wie der Padischah zu benehmen. Wenn du brüllst und fluchst, mußt du ja wohl das Recht haben. Man bringt mich zu einem Oberst namens Ali Bei – roter Fes, schwarzer Vollbart, auf der Brust das Abzeichen von Saint-Cyr. Prima, denk ich, das schöne Frankreich wird mir helfen. So und so, sag ich. Pariser Presse. Ins russische Lager verschlagen, tödliche Langeweile, kein bißchen Exotik, nur Suff. Vielleicht ist der geehrte Ali Bei geneigt, ein Interview für die Pariser Leser zu geben? Er ist geneigt.Wir sitzen, trinken kühlen Sorbet. Mein Ali Bei fragt: ›Gibt es noch das hübsche Café am Boulevard Raspail Ecke Rue de Sèvres?‹ Offen gestanden, ich habe keinen Schimmer, ob es das noch gibt, ich war lange nicht in Paris, aber ich sage: ›Gewiß doch, es blüht und gedeiht.‹ Wir unterhalten uns über die Boulevards, über Cancan und Kokotten. Der Oberst ist ganz gerührt, sein sehenswerter Bart bauscht sich, und er seufzt: ›Nein, wenn dieser verdammte Krieg erst mal zu Ende ist, dann gleich nach Paris, nach Paris.‹ – ›Wird er denn bald zu Ende sein, Effendi?‹ – ›Ja, bald‹, sagt Ali Bei. ›Sehr bald. Die Russen schmeißen mich mitsamt meinen drei armseligen Bataillonen aus Plewna raus, dann ist Schluß. Dann ist der Weg frei bis Sofia.‹ – ›Eijei‹, sag ich mitleidig. ›Sie sind ein mutiger Mann, Ali Bei. Mit drei Bataillonen gegen die ganze russische Armee! Ich werde darüber in meiner Zeitung berichten. Aber wo ist der ruhmreiche Osman Nuri Pascha mit seinem Korps?‹ Der Oberst nahm den Fes ab und machte eine wegwerfende Handbewegung. ›Er wollte morgen hier sein. Aber das schafft er nicht, die Straßen sind zu schlecht. Frühestens übermorgen abend.‹ Wir haben prächtig zusammengesessen, haben über Konstantinopel gesprochen und über Alexandria. Ich mußte mich mit Gewalt losreißen – der Oberst ließ schon einen Hammel schlachten. Auf den Rat von Monsieur Perepjolkin gab ich das Interview dem Stab des Großfürsten zur Kenntnis. Dort stieß mein Gespräch mit Ali Bei auf Interesse«, schloß der Journalist bescheiden. »Ich glaube, den türkischen Oberst erwartet morgen eine kleine Überraschung.«
»Oh, d’Hévrais, du Draufgänger!« Sobolew eilte mit ausgebreiteten Generalsarmen auf den Franzosen zu. »Ein echter Gallier! Laß dir einen Kuß geben!«
D’Hévrais’ Gesicht verschwand hinter dem üppigen Bart,und MacLaughlin, der mit Perepjolkin Schach spielte (der Hauptmann trug keine Binde mehr und blickte mit beiden Augen konzentriert aufs Brett), bemerkte mürrisch: »Der Hauptmann hätte Sie nicht als Spion benutzen dürfen. Ich bin mir nicht sicher, lieber Charles, ob Ihr Ausflug vom Standpunkt des journalistischen Ethos untadelig ist. Der Korrespondent eines neutralen Staates hat nicht das Recht, in einem Konflikt Partei zu ergreifen und schon gar nicht die Rolle des Spions zu übernehmen, denn …«
Aber alle, auch Warja, fielen einmütig über den langweiligen Kelten her, so daß er notgedrungen verstummte.
»Oho, hier geht’s ja lustig zu!« tönte plötzlich eine schallende, selbstsichere Stimme.
Warja drehte sich um und erblickte am Eingang einen stattlichen Husarenoffizier mit schwarzem Haar, einem verwegenen Schnauzbart, übermütigen Augen, die ein wenig hervorstanden, und einem nagelneuen Georgskreuz am Uniformrock. Die allgemeine Aufmerksamkeit machte den Ankömmling keineswegs verlegen, im Gegenteil, der Husar nahm sie als etwas Selbstverständliches.
»Rittmeister Graf Surow vom Grodnoer Husarenregiment«, stellte er sich vor und salutierte vor Sobolew. »Erinnern Sie sich, Euer Exzellenz? Wir sind zusammen gegen Kokand gezogen, ich war im Stab von Konstantin Petrowitsch.«
»Gewiß, erinnere mich.« Der General nickte. »Wurden Sie nicht vor Gericht gestellt wegen Kartenspiel während des Feldzugs und
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