Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
kam es zum Streit, welches Parlamentssystem das beste sei. MacLaughlin war für das britische, d’Hévrais, obwohl Franzose, für das amerikanische. Sobolew setzte auf ein besonderes, althergebracht russisches System der Adligen und Bauern.
    Als Warja das Wahlrecht für die Frauen verlangte, wurdesie einmütig ausgelacht. Der Kommißknochen Sobolew spottete:
    »Oh, Warwara Andrejewna, wenn ihr Frauen das bekommt, wählt ihr ja doch nur Stutzer und Galane ins Parlament. Sollte eine wie Sie die Wahl haben zwischen Fjodor Dostojewski und unserm Rittmeister Surow – wen würden Sie vorziehen? Na bitte.«
    »Meine Herren, kann man gegen seinen Willen ins Parlament gewählt werden?« fragte Surow besorgt, was die Heiterkeit noch vergrößerte.
    Vergeblich sprach Warja über gleiche Rechte und den amerikanischen Staat Wyoming, wo die Frauen das Stimmrecht besaßen und dies keine entsetzlichen Folgen hatte. Niemand nahm ihre Worte ernst.
    »Warum sagen Sie denn nichts?« appellierte Warja an Fandorin, und da äußerte er etwas, was er besser für sich behalten hätte:
    »Warwara Andrejewna, ich bin überhaupt gegen D-demokratie.« (Sprach’s und errötete.) »Die Menschen sind von Natur aus nicht gleich, dagegen ist nichts zu machen. Das demokratische Prinzip beschneidet die Rechte derer, die klüger, b-begabter, fleißiger sind und macht diese abhängig von dem dumpfen Willen der Dummen, Unbegabten und Faulen, weil die in der Gesellschaft immer die Mehrheit sind. Unsere Landsleute sollen erst mal die Unordnung abschaffen und sich das Recht verdienen, sich B-bürger zu nennen, danach kann man auch über ein Parlament nachdenken.«
    Diese unerhörte Bekundung brachte Warja ganz durcheinander, aber d’Hévrais kam ihr zu Hilfe.
    »Und trotzdem, wenn in einem Land das Wahlrecht schon eingeführt ist«, sagte er sanft (das Gespräch wurde natürlich französisch geführt), »ist es ungerecht, die Hälfteder Menschheit zu beleidigen, noch dazu die bessere Hälfte.«
    In Erinnerung an diese wundervollen Worte lächelte Warja, drehte sich auf die Seite und dachte über d’Hévrais nach.
    Gottlob ließ Kasansaki den Mann endlich in Ruhe. Als ob General Krüdener auf Grund eines Interviews strategische Entschlüsse fassen würde! Der arme d’Hévrais war ganz von Kräften gekommen, er nervte alle und jeden mit Erklärungen und Rechtfertigungen. So schuldbewußt und unglücklich gefiel er Warja noch besser. Vorher war er ihr ein wenig selbstverliebt vorgekommen, gar zu sehr gewöhnt an die allgemeine Anerkennung, und sie hatte zu ihm Distanz gehalten, doch jetzt war das nicht mehr nötig, und sie ging freundlich und ungezwungen mit ihm um. Er war ein unterhaltsamer Mensch, anders als Fandorin, und wußte furchtbar viel – von der Türkei, vom alten Orient, von der französischen Geschichte. Wo hatte ihn seine Abenteuerlust nicht schon alles hingeführt! Und wie nett er seine récits droles 10 erzählte – witzig, lebendig, ohne Angeberei. Warja mochte es sehr, wenn der Franzose als Antwort auf eine Frage erst eine besondere Pause machte, verschmitzt lächelte und hintergründig sagte: »Oh, c’est toute une histoire, mademoiselle 11 .« Und im Gegensatz zu dem Geheimniskrämer Fandorin erzählte er sie auch gleich.
    Es waren meist komische, manchmal auch schreckliche Geschichten. Eine davon war Warja besonders im Gedächtnis geblieben.
    »Mademoiselle Warja, Sie beschimpfen die Asiaten, weil sie das Menschenleben geringschätzen, und Sie haben recht« (es ging um die Bestialitäten der Baschi-Bosuks). »Aber essind ja Wilde, Barbaren, in ihrer Entwicklung nicht weit weg von Tigern und Krokodilen. Ich beschreibe Ihnen mal eine Szene, die ich im zivilisiertesten aller Länder, in England, mit angesehen habe. Oh, das ist eine ganze Geschichte! Die Briten schätzen ein Menschenleben so hoch, daß für sie die schlimmste Sünde der Selbstmord ist – und der Versuch, Hand an sich zu legen, wird mit der Todesstrafe geahndet. So weit ist man im Orient noch nicht. Als ich vor ein paar Jahren in London war, sollte im dortigen Gefängnis ein Sträfling gehängt werden. Er hatte ein furchtbares Verbrechen begangen – hatte sich irgendwie ein Rasiermesser verschafft und versucht, sich die Kehle durchzuschneiden; das war ihm auch teilweise gelungen, aber der Gefängnisarzt konnte ihn retten. Ich war erschüttert von der Logik des Richters und beschloß, mir die Exekution mit eigenen Augen anzusehen. Ich ließ meine Verbindungen spielen,

Weitere Kostenlose Bücher