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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nicht für die rumänische Freiheit?«
     
    Geirrt hatte sich Warja, sehr geirrt. Die Reise nach Bukarest geriet stocklangweilig.
    Außer dem Franzosen reisten noch ein paar Presseleutezum Zeitvertreib in die Hauptstadt des rumänischen Fürstentums. Sie alle wußten, daß in den nächsten Tagen, vielleicht auch Wochen nichts Interessantes auf dem Kriegsschauplatz passieren würde – die Russen würden sich nicht so bald von dem Aderlaß von Plewna erholen, darum zog es die Bruderschaft der Journalisten zu den Verlockungen des Hinterlands.
    Die Reisevorbereitungen dauerten lange, und erst am dritten Tag wurde aufgebrochen. Warja als Dame durfte mit MacLaughlin in der Kutsche fahren, die anderen ritten. Den Franzosen auf seinem schnellen Jatagan sah sie nur von weitem, unterhalten mußte sie sich mit dem Iren. Der erklärte ihr eingehend die klimatischen Bedingungen auf dem Balkan, in London und Mittelasien, plauderte über die Konstruktion der Federung seiner Kutsche und schilderte ausführlich etliche geistvolle Schachaufgaben. All das verdarb Warja die Laune, und wenn gerastet wurde, blickte sie sehnsüchtig auf die lebhaften Reisegefährten, darunter den von der Bewegung im Freien leicht geröteten d’Hévrais.
    Am zweiten Reisetag – man hatte Alexandria hinter sich gelassen – wurde es besser, denn Surow hatte die Kavalkade eingeholt. Er hatte sich im Gefecht ausgezeichnet, General Sobolew hatte ihn als Adjutanten zu sich geholt und wollte ihn angeblich sogar für den Annenorden eingeben, doch der Rittmeister hatte sich statt dessen eine Woche Urlaub ausgebeten, um, wie er sagte, seine Knochen zu lockern.
    Anfangs zerstreute Surow Warja mit Reiterkunststücken – pflückte im Galopp blaue Glockenblumen, jonglierte mit goldenen Zehnrubelmünzen und stellte sich auf den Sattel. Später unternahm er einen Versuch, mit MacLaughlin den Platz zu tauschen, und nachdem er eine phlegmatische, doch entschiedene Abfuhr erhalten hatte, ließ er den gehorsamenKutscher auf seine rötliche Stute hinübersteigen und setzte sich selber auf den Bock; jede Minute den Kopf drehend, erheiterte er Warja mit Lügengeschichten über seinen Heldenmut und über die Ränke des eifersüchtigen Perepjolkin, mit dem der frischgebackene Adjutant im Hader lag. So gelangten sie ans Ziel.
    Lucan zu finden war, wie Fandorin vorausgesagt hatte, nicht weiter schwierig. Der Instruktion folgend, stieg Warja im teuersten Hotel, dem »Royal«, ab, fragte den Portier nach dem Oberst und erfuhr, daß son excellence hier wohlbekannt sei und gestern wie vorgestern im Restaurant getafelt habe. Gewiß werde er auch heute kommen.
    Bis zum Abend war noch viel Zeit, und Warja machte einen Spaziergang durch die fashionable Calea Victoriei, die sie nach dem Leben im Zelt wie der Newski-Prospekt anmutete: elegante Equipagen, gestreifte Markisen über den Schaufenstern, südländische Frauen von blendender Schönheit, gut aussehende brünette Männer in hellblauen, weißen und sogar rosa Gehröcken, außerdem Monturen, Monturen, Monturen. Es wurde mehr russisch und französisch als rumänisch gesprochen. Warja nahm in einem richtigen Café zwei Täßchen Kakao und vier Stück Kuchen zu sich und zerfloß vor Behagen, aber als ihr Blick zufällig in die Spiegel eines Hutladens fiel, stieß sie einen Wehlaut aus. Deswegen also guckten die Männer durch sie hindurch!
    Das Aschenbrödel im verschossenen hellblauen Fähnchen und brüchigen Strohhütchen war blamabel für eine russische Frau. Hier flanierten auf den Gehsteigen Messalinen, die nach der letzten Pariser Mode herausgeputzt waren!
     
    Ins Restaurant kam Warja mit großer Verspätung. Sie war mit MacLaughlin um sieben verabredet, erschien aber erstgegen neun. Der Korrespondent der »Daily Post«, ein wahrer Gentleman, hatte ohne Murren dem Rendezvous zugestimmt (sie konnte ja nicht allein ins Restaurant gehen – man hielt sie womöglich für eine Kokotte), und er erwähnte auch die Verspätung mit keinem Wort, sah aber zutiefst unglücklich aus. Macht nichts, Schulden werden schön durchs Bezahlen. Er hatte sie während der ganzen Fahrt mit seinen meteorologischen Kenntnissen gemartert, mochte er jetzt Nutzen bringen.
    Lucan war noch nicht im Saal, und aus Menschenfreundlichkeit bat Warja den Journalisten, ihr noch einmal die altpersische Verteidigung zu erklären. Der Ire, der die mit Warja vorgegangenen Veränderungen gar nicht wahrnahm (sie hatte dafür sechs Stunden gebraucht und fast den ganzen

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