Türkisches Gambit
wahr? Der Oberst hat gerade mit seiner Weitsicht geprahlt. Er hat vorausgesagt, daß der Sturmangriff auf Plewna mit einer Niederlage endet.«
»Wirklich?« fragte d’Hévrais und blickte den Oberst aufmerksam an.
»Sie sehen großartig aus, Warwara Andrejewna«, sagte Surow. »Was haben Sie da, Martell? Kellner, Gläser!«
Der Rumäne trank Kognak und maß die beiden mit finsterem Blick.
»Wem haben Sie das vorausgesagt? Und wann?« fragte MacLaughlin gespannt.
»Im Rapport an seinen Monarchen«, erläuterte Warja. »Und jetzt ist der Scharfsinn des Obersts nach Verdienst gewürdigt worden.«
»Bedienen Sie sich, meine Herren, trinken Sie«, lud Lucan mit großer Geste ein und stand ruckartig auf. »Alles geht auf meine Rechnung. Madame Suworowa und ich unternehmen eine Spazierfahrt. Sie hat es mir versprochen.«
D’Hévrais zog verwundert die Augenbrauen hoch, und Surow rief ungläubig: »Was höre ich da, Warwara Andrejewna? Sie machen mit Lucan eine Spazierfahrt?«
Warja war dicht davor, in Panik zu geraten. Mit Lucan wegfahren bedeutete, ihren Ruf für immer zu ruinieren, und es war auch ungewiß, wie das enden würde. Eine Weigerung aber würde ihren Auftrag gefährden.
»Ich komme gleich wieder, meine Herren«, sagte sie mit dumpfer Stimme und eilte dem Ausgang zu. Sie mußte ihre Gedanken sammeln.
Im Foyer blieb sie vor dem hohen Spiegel mit dem verschnörkelten Bronzerahmen stehen und legte die Hand auf die glühende Stirn. Was tun? Hinaufgehen ins Zimmer, die Tür verschließen und auf Klopfen nicht reagieren. Verzeih mir, Petja, üben Sie Nachsicht, Herr Titularrat, Warja Suworowa taugt nicht zur Spionin.
Die Tür knarrte warnend, und im Spiegel, direkt hinter ihr, zeigte sich die verärgerte rote Visage des Obersts.
»Verzeihung, Mademoiselle, aber mit Mihai Lucan geht man so nicht um. Sie haben mir in gewisser Weise Avancen gemacht, und jetzt wollen Sie mich öffentlich bloßstellen? Da sind Sie an den Falschen geraten. Hier ist nicht der Presseklub, hier bin ich zu Hause!«
Von der Galanterie des künftigen Senators war keine Spur übriggeblieben. Seine braungelben Augen schleuderten Blitze.
»Kommen Sie, Mademoiselle, die Equipage wartet.« Und auf Warjas Schulter legte sich eine haarige bräunliche Hand mit überraschend starken, wie aus Eisen geschmiedeten Fingern.
»Sie sind von Sinnen, Oberst! Ich bin doch keine Kurtisane!« schrie Warja und sah sich nach allen Seiten um.
Im Foyer waren ziemlich viele Leute, zumeist Herren in leichten Sommerjacketts und rumänische Offiziere. Sie beobachteten neugierig die pikante Szene, aber für die Dame (war es eine Dame?) einzutreten hatten sie wohl nicht vor.
Lucan sagte etwas auf rumänisch, die Zuschauer lachten verständnisvoll.
»Zuviel getrunken, Marussja?« fragte einer auf russisch, und alle lachten noch lauter.
Der Oberst faßte Warja unter und führte sie zum Ausgang, so geschickt, daß Widerstand unmöglich war.
»Unverschämter Kerl!« schrie sie und wollte ihn ins Gesicht schlagen, aber er ergriff ihr Handgelenk. Das näher kommende Gesicht stank nach Schnaps und Eau de Cologne. Gleich muß ich mich übergeben, dachte Warja.
Aber im nächsten Moment lösten sich die Hände des Obersts von selbst. Zuerst klatschte es schallend, dann folgte ein saftiges Knirschen, und Warjas Beleidiger flog gegen die Wand. Seine eine Wange war puterrot von der Ohrfeige, die andere weiß von dem schweren Faustschlag. Zwei Schritte vor ihm standen Schulter an Schulter d’Hévrais und Surow. Der Franzose schüttelte die Finger der rechten Hand, der Rittmeister rieb sich die linke Faust.
»Zwischen den Verbündeten ist eine schwarze Katze hindurchgelaufen«, konstatierte Surow. »Und das ist erst der Anfang. Mit einem Hieb in die Schnauze kommst du nicht davon, Lucan. Für solch einen Umgang mit einer Dame wird einem das Fell durchlöchert.«
D’Hévrais sagte nichts, er zog den weißen Handschuh aus und schleuderte ihn dem Oberst ins Gesicht.
Mit einer ruckenden Kopfbewegung richtete Lucan sich auf, rieb sich den Backenknochen. Er sah den einen, dann den anderen an. Warja nahm verblüfft wahr, daß alle drei ihre Existenz vergessen zu haben schienen.
»Ich werde zum Duell gefordert?« Der Rumäne zischte die französischen Worte mühsam heraus. »Von zweien auf einmal? Oder doch einzeln?«
»Sie können wählen, wer Ihnen besser zusagt«, bemerkte d’Hévrais unfreundlich. »Und wenn Sie mit dem Ersten Glück haben, bekommen Sie es mit dem
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