Türkisches Gambit
Manöver hinter den Hügeln ab, drittens. Unsere Kolonnen wurden von der türkischen Artillerie ohne direkte Sicht nach Planquadraten beschossen, viertens. Was folgt daraus?«
»Die Türken haben vorher gewußt, wann sie wohin schießen müssen«, flüsterte Warja.
»Und Lucan hat vorher gewußt, daß der Angriff scheitern würde. Übrigens, fünftens: Dieser Mann hat in den letzten Tagen von irgendwoher viel Geld bekommen.«
»Er ist reich. Hat irgendwelche Familienschätze, Besitzungen. Das hat er mir erzählt, aber ich habe nicht richtig hingehört.«
»Warwara Andrejewna, der Oberst wollte sich noch vor kurzem dreihundert Rubel von mir borgen, und dann hat er, wenn man Surow glauben kann, in wenigen Tagen an die fünfzehntausend verpulvert. Na ja, Surow kann auch geschwindelt haben.«
»Und ob er das kann«, pflichtete Warja ihm bei. »Aber Lucan hat tatsächlich sehr viel verspielt. Das hat er mir heute erzählt, bevor er nach Bukarest abgereist ist.«
»Abgereist?«
Fandorin wandte sich ab und überlegte, dabei schüttelte er ab und zu den Kopf. Warja trat seitlich zu ihm, um sein Gesicht zu sehen, konnte aber nichts Besonderes bemerken. Fandorin blickte mit eingekniffenen Augen zum Planeten Mars.
»Hören Sie, l-liebe Warwara Andrejewna«, sagte er langsam, und Warja wurde warm ums Herz, erstens weil er »liebe« gesagt, und zweitens, weil er wieder gestottert hatte. »Ich muß Sie nun doch um H-hilfe bitten, obwohl ich versprochen hatte …«
»Was Sie wollen!« rief sie etwas zu eilig und fügte hinzu: »Um Petja zu retten.«
»Na ausgezeichnet.« Fandorin sah ihr prüfend in die Augen. »Aber die A-aufgabe ist sehr schwer und nicht angenehm. Ich möchte, daß Sie auch nach Bukarest fahren, Lucan ausfindig machen und v-versuchen, aus ihm schlau zu werden. Vielleicht kriegen Sie heraus, ob er wirklich so reich ist. Setzen Sie auf seine Eitelkeit, seine Prahlsucht, seine D-dummheit. Er hat Ihnen ja schon einmal etwas ausgeplaudert. Vor Ihnen wird er bestimmt sein Gefieder spreizen.« Fandorin druckste. »Schließlich sind Sie eine attraktive junge Frau.«
Er hustete und kam durcheinander, denn Warja hatte vor Überraschung einen Pfiff ausgestoßen. Nun war also doch noch ein Kompliment von dieser Komturstatue gekommen. Natürlich war es ein kümmerliches Kompliment – »attraktive junge Frau« –, aber immerhin …
Doch gleich verdarb er alles wieder.
»Natürlich können Sie nicht allein reisen, d-das sähe ja sonderbar aus. Ich weiß, daß d’Hévrais nach Bukarest will. Er wird sich nicht weigern, Sie mitzunehmen.«
Nein, das ist wirklich kein Mensch, das ist ein Stück Eis,dachte Warja. Den aufzutauen ist unmöglich. Sieht er denn nicht, daß der Franzose mir den Hof macht? Doch, er sieht alles, aber darauf, so würde Luschka sagen, pfeift er.
Fandorin schien ihre unzufriedene Miene auf seine Weise zu deuten.
»Um Geld machen Sie sich keine Sorgen. Ihnen steht ja ein G-gehalt zu, Reisespesen und so. Das kriegen Sie von mir. Kaufen Sie sich dort was, amüsieren Sie sich.«
»Mit Charles werde ich mich schon nicht langweilen«, sagte Warja rachsüchtig.
SIEBTES KAPITEL,
in welchem Warja des Rufs einer anständigen Frau
verlustig geht
»Moskauer Gouvernementsnachrichten«
vom 22. Juli (3. August) 1877
Sonntagsfeuilleton
»Als meine Wenigkeit erfuhr, daß diese Stadt, die in den vergangenen Monaten so erfolgreich von unseren Etappenhengsten in Besitz genommen wurde, seinerzeit gegründet worden ist von einem Fürsten Vlad mit dem Spitznamen Pfähler, auch bekannt unter dem Namen Dracula, wurde mir vieles klar. Jetzt begreife ich, warum man in Bukarest für einen Rubel bestenfalls drei Francs bekommt, warum ein erbärmliches Mittagessen in einer Schenke soviel kostet wie ein Bankett im ›Slawischen Basar‹ und warum man für ein Hotelzimmer soviel bezahlen muß wie für die Miete des Buckingham-Palastes. Die verdammten Vampire saugen, saugen das Blut der Russen, lecken sich genießerisch den Mund und spucken auch noch aus. Am unangenehmsten ist, daß seit der Wahl eines drittklassigen deutschen Prinzen zum rumänischen Herrscher diese Donauprovinz, die ihre Autonomie ausschließlich Rußland verdankt, nach Wurst und Sülze riecht. Die Bojaren schauen verliebt auf Herrn Bismarck, und wir Russen sind für sie wie eine entfernt verwandte Ziege: Sie ziehen sie am Euter und rümpfen die Nase. Für wen vergießen die Russen denn ihr heiliges Blut auf den Schlachtfeldern von Plewna, wenn
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