Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
machen. Gleich gibt es eine neue Artillerievorbereitung und dann wieder ›hurra-hurra‹.«
    Warja wurde schlecht.

NEUNTES KAPITEL,
    in welchem Fandorin
von seinem Vorgesetzten einen Rüffel bekommt
    »Russkije Wedomosti« (Sankt Petersburg)
    vom 31. August (12. September) 1877
    »Der tapfere Jüngling, eingedenk der väterlichen Lehren seines heißgeliebten Kommandeurs, rief: ›Ich werde sterben, Michail Dmitrijewitsch, aber die Meldung bring ich hin!‹ Der neunzehnjährige Held schwang sich auf seinen Don-Renner und sprengte durch das von bleiernen Winden durchtoste Tal, wo sich die Baschi-Bosuks versteckt hielten. Er mußte die Hauptkräfte der Armee erreichen. Die Kugeln umpfiffen den Kopf des Reiters, doch er gab seinem feurigen Pferd die Sporen und flüsterte: ›Schneller! Schneller! Von mir hängt der Ausgang der Schlacht ab!‹
    Aber das böse Verhängnis war stärker als die Tapferkeit. Aus einem Hinterhalt knallten Schüsse, und der mutige Kurier stürzte zu Boden. Blutüberströmt sprang er auf und ging mit der blanken Klinge auf einen Muselman los, aber schon fielen wie schwarze Raubvögel die grimmen Feinde über ihn her, warfen ihn nieder und hackten mit ihren Säbeln noch lange auf den leblosen Körper ein.
    So starb Sergej Berestschagin, der Bruder des berühmten Malers.
    So verwelkte ein vielversprechendes Talent, dem nicht beschieden war, zu voller Kraft zu erblühen.
    So fiel der dritte Kurier, den Sobolew zum Imperator schickte.«
     
    In der achten Abendstunde war sie wieder an der bekannten Weggabelung, aber statt des heiseren Hauptmanns kommandierte dort ein ebenso heiserer Oberleutnant, der esnoch schwerer hatte als sein Vorgänger, weil er jetzt zwei gegenläufige Ströme lenken mußte: Zur vordersten Linie strebten noch immer Munitionswagen, und vom Feld wurden Verwundete gebracht.
    Nach der ersten Attacke war Warja kleinmütig geworden, sie hatte begriffen, ein zweites Mal würde sie ein solches Schauspiel nicht ertragen. Sie ritt nach hinten und weinte unterwegs, zumal kein Bekannter in der Nähe war. Aber ins Lager wollte sie nicht, denn sie schämte sich.
    Mimose, Nervenbündel, schwaches Geschlecht, schalt sie sich. Du hast doch gewußt, daß du in den Krieg fährst und nicht nach Pawlowskoje zum Tanzen. Außerdem wollte sie unbedingt vermeiden, dem Titularrat das Vergnügen zu machen, daß er schon wieder recht gehabt hatte.
    Sie kehrte um.
    Sie ritt im Schritt, und ihr Herz krampfte sich wehmütig zusammen bei dem näher kommenden Gefechtslärm. Im Zentrum war das Gewehrfeuer fast verstummt, dort wummerten nur Geschütze, dafür drangen von der Lowetscher Chaussee her, wo die abgeschnittene Abteilung Sobolews focht, unaufhörlich Salven herüber wie auch das Gebrüll vieler Stimmen, gedämpft durch die große Entfernung. Um den General schien es nicht gut zu stehen.
    Warja fuhr zusammen – aus den Büschen kam, schlammbespritzt, MacLaughlin geritten. Der Hut war ihm zur Seite gerutscht, sein Gesicht war rot, von der Stirn rann Schweiß.
    »Wie sieht’s dort aus? Wie stehen die Dinge?« fragte Warja und griff nach dem Zügel seines Pferdes.
    »Ich glaube, gut«, antwortete der Ire und wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht. »Uff, ich bin ins Gestrüpp geraten und nur mühsam wieder rausgekommen.«
    »Gut steht’s? Sind die Redouten genommen?«
    »Nein, im Zentrum halten sich die Türken, aber vor zwanzig Minuten kam Graf Surow an unserer Beobachtungsstelle vorbeigaloppiert. Er hatte es sehr eilig zum Hauptquartier und rief nur: ›Sieg! Wir sind in Plewna! Keine Zeit, meine Herren, eine Eilmeldung!‹ Monsieur Kasansaki ist ihm gleich hinterhergeritten. Er ist ja sehr ehrgeizig und will dabei sein, wenn die gute Nachricht überbracht wird, vielleicht fällt auch für ihn was ab.« MacLaughlin schüttelte mißbilligend den Kopf. »Na, und die Herren Journalisten stoben sofort auseinander, für solche Fälle hat ja jeder einen guten Freund unter den Telegraphisten. Ich versichere Ihnen, in diesem Moment fliegen schon die ersten Telegramme über die Einnahme von Plewna in die Redaktionen.«
    »Und Sie?«
    Der Korrespondent antwortete würdevoll: »Ich habe es nie so eilig, Mademoiselle Suworowa. Zuerst muß ich alle Einzelheiten herausfinden. Statt einer kurzen Meldung schicke ich einen ganzen Artikel, und der kommt in die Morgenausgabe, genau wie die Telegramme der anderen.«
    »Ich kann also ins Lager zurückkehren?« fragte Warja erleichtert.
    »Ich glaube schon. Im Stab

Weitere Kostenlose Bücher