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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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1829 blieb Diebitsch in Adrianopel stehen. Wir sind jetzt bis San Stefano gekommen. Der Ellbogen ist nahe, aber hineinbeißen können wir nicht. Ich habe eine Vision – ein großes, starkes Rußland, das die slawischen Länder von Archangelsk bis Zargrad und von Triest bis Wladiwostok umfaßt. Erst dann werden die Romanows ihre historische Mission erfüllen und endlich von den ewigen Kriegen zur friedlichen Gestaltung ihres leidgeprüften Reiches übergehen können. Weichen wir aber zurück, so werden unsere Söhne und Enkel wieder ihr Blut und das anderer vergießen müssen, um zu den Mauern von Zargrad vorzudringen. Das ist nun mal der Leidensweg, den Rußland zu gehen hat!«
    »Ich male mir aus, was sich jetzt in Konstantinopel tut«, sagte d’Hévrais zerstreut auf französisch und blickte ebenfalls zum Fenster hinaus. »General Sobolew in San Stefano! Der Palast in Panik, der Harem wird evakuiert, die Eunuchen hasten herum, ihre fetten Ärsche zittern. Ob Abd ul Hamid sich schon auf das asiatische Ufer zurückgezogen hat? Undniemand ahnt, daß Sie, Michel, nur mit einem Bataillon hierhergekommen sind. Wenn dies eine Pokerpartie wäre, könnte man das einen fabelhaften Bluff nennen, mit voller Garantie, daß der Gegner die Karten hinwirft und paßt.«
    »Von Stunde zu Stunde wird’s schwerer!« rief Perepjolkin beunruhigt. »Michail Dmitrijewitsch, Euer Exzellenz, hören Sie nicht auf ihn! Sie richten sich zugrunde! Auch so schon sind wir dem Wolf in den Rachen gekrochen! Was geht uns Abd ul Hamid an!«
    Sobolew und der Korrespondent sahen einander in die Augen.
    »Was habe ich eigentlich zu verlieren?« Der General ballte fingerknackend die Faust. »Na, wenn die Garde des Sultans mich tapfer mit Feuer empfängt, gehe ich eben zurück, und fertig. Charles, ist Abd ul Hamids Garde stark?«
    »Die Garde ist gut, aber Abd ul Hamid läßt sie um keinen Preis von sich weg.«
    »Also wird sie uns nicht verfolgen. Wir ziehen in Marschkolonne in die Stadt ein, mit wehender Fahne und Trommelschlag, und ich vornweg auf Gulnora.« Sobolew ging im Kabinett auf und ab und kam immer mehr in Fahrt. »Vor Tagesanbruch, damit nicht zu sehen ist, wie wenige wir sind. Und gleich zum Palast. Ohne einen einzigen Schuß! Wird man mir die Stadtschlüssel von Konstantinopel übergeben?«
    »Ganz bestimmt!« rief d’Hévrais feurig. »Und das ist die vollständige Kapitulation!«
    »Die Engländer vor vollendete Tatsachen stellen!« Der General hieb mit der Hand durch die Luft. »Ehe sie sich besinnen, ist die Stadt russisch, und die Türken haben kapituliert. Lassen wir’s drauf ankommen! San Stefano einzunehmen hat mir auch niemand erlaubt.«
    »Ein beispielloses Finale! Und ich bin unmittelbarer Zeuge!« sagte der Journalist aufgeregt.
    »Nicht Zeuge, sondern Teilnehmer!« Sobolew klopfte ihm auf die Schulter.
    »Ich lasse es nicht zu!« Perepjolkin baute sich vor der Tür auf. Er sah verzweifelt aus, seine braunen Augen quollen aus den Höhlen, auf der Stirn standen Schweißtropfen. »Als Stabschef lege ich Protest ein! Besinnen Sie sich, Euer Exzellenz! Sie sind doch General der Suite Seiner Majestät und kein Baschi-Bosuk! Ich beschwöre Sie!«
    »Weg da, Perepjolkin, ich habe genug von Ihnen!« schnauzte der Olympier den Verstandesmenschen an. »Als Osman Pascha aus Plewna ausbrechen wollte, haben Sie mich auch ›beschworen‹, nicht ohne Befehl vorzugehen. Auf die Knie sind Sie geplumpst! Und wer hatte recht? Na bitte! Sie werden sehen, man übergibt mir die Stadtschlüssel von Zargrad!«
    »Toll!« rief Mitja. »Großartig, nicht wahr, Warwara Andrejewna?«
    Warja sagte nichts, denn sie wußte nicht, ob das großartig war oder nicht. Von Sobolews Verwegenheit schwindelte ihr der Kopf. Außerdem erhob sich die Frage: Was sollte sie tun? Unter Trommelschlag im Jägerbataillon mitmarschieren und sich am Steigbügel von Gulnora festhalten? Oder mitten in der Nacht in der feindlichen Stadt allein zurückbleiben?
    »Gridnew, ich lasse dir meine Eskorte hier, du wirst die Bank bewachen. Sonst wird sie von den Einwohnern ausgeplündert, und Sobolew kriegt die Schuld«, sagte der General.
    »Euer Exzellenz, Michail Dmitrijewitsch!« heulte der Fähnrich. »Ich will mit nach Konstantinopel!«
    »Und wer beschützt Warwara Andrejewna?« fragte d’Hévrais vorwurfsvoll.
    Sobolew zog eine goldene Uhr aus der Tasche und ließ den Deckel aufspringen.
    »Halb sechs. In zwei bis zweieinhalb Stunden wird es hell. He, Gukmassow!«
    Ein

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