Türkisgrüner Winter (German Edition)
Also warum lassen wir es nicht auf sich beruhen, anstatt immer weiter darin herumzustochern?«
»Emely, ich will nicht darin herumstochern! Ich will dir helfen. Warum begreifst du das nicht?«
»Es gibt nichts zu helfen. Begreif du das bitte.«
Ich glaubte weniger, dass sie das begriffen hatte, aber zumindest hielt sie den Mund. Sie stützte das Kinn wieder auf die Hand, griff nach der Zeitschrift und blätterte darin herum. So wie Alex an den Seiten zog, war es ein Wunder, dass sie dabei nicht ausrissen.
Lange Zeit war das Blättern das einzige Geräusch, das den Raum erfüllte. Und je länger ich so dasaß und sie aus dem Augenwinkel heraus beobachtete, desto mehr kam eine Frage in mir auf. Eine Frage, die ich mir bis dahin nicht gestellt hatte, weil sie in den unangenehmen Gefühlen der Ereignisse untergegangen war.
»Alex«, sagte ich in die Stille. »Woher … woher wusstest du eigentlich, dass Elyas derjenige war, der mir die Mails geschrieben hat?«
Sie seufzte. »Durch einen dummen, blöden Zufall.«
»Und der wäre?«
Alex ließ die Zeitschrift ruhen und schob sie ein bisschen von sich. »Elyas hat an dem Tag sein Handy vergessen«, sagte sie. »Es lag im Wohnzimmer. Irgendwann klingelte es und weil › Sebastian ‹ auf dem Display stand, ging ich ran. Er musste in ein paar Stunden ein Referat halten, davon wusste ich. Als er es aber ausdrucken wollte, hat sein Drucker den Geist aufgegeben, deswegen sollte Elyas das für ihn erledigen. Ich hatte keine Ahnung, wo mein Bruder steckte und wann er wiederkam, ich wusste nicht, dass er bei dir war. Also sagte ich Sebastian, dass er mir die Datei via E-Mail schicken soll und ich sie für ihn über Elyas‘ PC ausdrucke.« Alex atmete aus. »Na ja, dann saß ich zehn Minuten vor seinem Computer, hatte mich online in mein Postfach eingeloggt, aber es kam keine Mail. Ich dachte, dass es vielleicht ein Missverständnis gab. Dass Sebastian dachte, er solle das Referat an Elyas‘ Adresse schicken. Also öffnete ich das E-Mail-Programm meines Bruders und dann fiel mir relativ schnell ein Ordner ins Auge. Er trug den Namen ›Emely‹. Du kennst mich, ich bin einfach zu neugierig«, sagte sie. »Ich klickte es an, verstand erst überhaupt nichts, bis mich irgendwann der Schlag traf. Als er nach Hause kam, habe ich ihn sofort zur Rede gestellt. Und na ja, den Rest kennst du ja selbst.«
Es war also reiner Zufall gewesen.
Einfach nur Glück.
Wer weiß, wann ich es sonst erfahren hätte?
Langsam schüttelte ich den Kopf.
»Dann kann ich mich also ausnahmsweise mal bei deiner Neugierde bedanken«, sagte ich leise, den Blick auf meine Hände gerichtet. Der Kaffee war mittlerweile kalt geworden.
»Bedanken sei mal dahingestellt«, antwortete sie. »Aber ja, so kam das Ganze jedenfalls ans Licht.«
Ich schwieg und verlor mich mit dem Blick im Raum.
Nach einer Weile stellte ich den Becher auf den Schreibtisch, blätterte eine neue Seite im Ordner auf und lehnte mich darüber. Ich sah die geschriebenen Worte, konnte jeden einzelnen Satz entziffern, und doch schaffte es kein einziger, zu mir durchzudringen. Meine Gedanken hatten die Welt betreten, die ich ihnen ständig zu verbieten versuchte. Denn setzte ich nur einen einzigen Fuß hinein, kam ich nicht mehr heraus.
Nach zehn Minuten fragte ich Alex, ob es schlimm für sie wäre, wenn sie mich jetzt weiterlernen ließe. Sie haderte mit sich, das merkte ich, erhob sich aber schließlich vom Bett und verabschiedete sich von mir.
»Lass dir das mit Neustadt doch noch mal durch den Kopf gehen«, sagte sie. »Sechs Wochen sind wirklich lange. Meinst du nicht auch, dass die Hälfte der Zeit ausreichen würde?«
»Es tut mir leid, Alex. Ich habe die Zugtickets bereits gekauft.«
Das war nicht die Antwort, die sie hören wollte. Und so richtig damit abfinden, dass wir uns erst an Weihnachten wiedersehen würden, konnte sie sich auch nicht. Für den Moment blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, als es hinzunehmen, und so sagte sie, dass sie mich morgen Nachmittag nach der Prüfung anrufen würde.
Als die Tür hinter Alex ins Schloss fiel und die vertraute Stille mich wieder umgab, war der Augenblick mit einem tiefen, befreienden Atemzug zu vergleichen. Eine riesige Anspannung fiel von mir ab. Ich konnte wieder ich sein. Konnte mich fühlen, wie ich mich fühlte. Und musste niemandem etwas vorspielen.
Ich drehte mich erneut meinen Unterlagen zu, hatte das feste Vorhaben, weiter zu lernen, doch mit einem Mal
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