Türkisgrüner Winter (German Edition)
an Elyas. Wenn man die beiden genau ansah, erkannte man, dass sie Geschwister waren.
»Ich sagte dir doch, dass es langweilig für dich werden würde.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich dachte aber nicht, dass du ununterbrochen auf diese Blätter starren würdest.«
»Na ja, Alex, das ist die allgemeine Definition von Lernen.«
Sie ließ die Zeitschrift für einen Moment sinken. »Aber du machst seit zwei Wochen nichts anderes, Emely. Wir sehen uns überhaupt nicht mehr. Ständig sagst du mir ab. Wäre ich heute nicht einfach vorbeigekommen, hättest du mich wieder abgewimmelt.«
»Ich bin eben beschäftigt.«
»Den Satz kenne ich inzwischen in- und auswendig«, sagte sie. »Eine kleine Pause wird ja wohl mal drin sein, oder?«
Ich blickte zur Uhr und dann wieder zurück zu meinen Unterlagen. Natürlich wäre eine Pause theoretisch möglich. Aber wollte ich das? Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn Alex gar nicht erst vorbeigekommen wäre. Ich hatte sie sehr gern und es tat mir leid, sie immer vor den Kopf zu stoßen, aber momentan ging es mir am besten, wenn ich mit meinen Büchern allein war. Derzeit war ich wohl keine besonders gute Freundin für sie.
Alex bemerkte mein Zögern und rappelte sich vom Bett auf. »Was hältst du davon, wenn ich uns zwei Hübschen jetzt erst einmal einen Kaffee besorge?«
Kaffee. Sie wusste genau, dass ich diesem Zeug restlos verfallen war. Mit einem Seufzen nickte ich, woraufhin sie zufrieden grinste und kurz darauf wie ein Wirbelwind durch die Tür huschte. Die wenige Zeit, die ich für mich hatte, nutzte ich, um noch mal einen Blick in die Mitschrift eines Seminars zu werfen.
Ich schaffte es gerade mal, eine Seite zu überfliegen, da platzte Alex auch schon wieder ins Zimmer.
»Danke«, sagte ich, als sie mir einen der beiden warmen Kaffeebecher überreichte.
Sie ging zurück zum Bett, nahm dort ihre alte Position ein und nippte an dem Getränk. Gleich darauf zischte sie und fasste sich an den Mund. »Der ist ja total heiß! Ich habe mir voll die Zunge verbrannt!«
Ich zog eine Augenbraue nach oben. »Schlimm«, sagte ich. »Die sollten ein Schild an den Automaten hängen. Wer um Himmels Willen ahnt denn, dass der Kaffee warm herauskommt?«
»Ja ja«, sagte sie, »sprüh du nur so vor Sarkasmus. Deine Zunge ist ja auch nicht verbrannt.«
»Ich bin ja auch nicht so ungeduldig wie du.«
Sie rümpfte die Nase und versuchte ihren Kaffee durch Pusten ein bisschen abzukühlen. Nach einer Weile sah sie wieder zu mir auf und hatte diesen ganz bestimmten Blick in den Augen. Seit der Sache mit Elyas waren Alex und ich uns ein paar Mal zufällig in der Uni über den Weg gelaufen. Sobald wir das anfängliche Geplauder hinter uns gebracht hatten, war irgendwann immer der Punkt gekommen, an dem eine unangenehme Stille geherrscht und sie mich auf genau diese Weise angesehen hatte. In diesen Momenten lag der Name ›Elyas‹ auf einmal wie eine tonnenschwere Last im Raum.
»Hast du deine Ergebnisse schon bekommen?«, fragte ich schnell.
»Ergebnisse? Ach so, nein, erst morgen.«
»Hast du ein gutes Gefühl?«
»Modedesign«, sagte sie und grinste. »Was erwartest du? Ich habe es schließlich erfunden.«
»Und bei Sebastian?«, fragte ich weiter. Wenn Alex über ihren Freund sprach, dachte sie an nichts anderes mehr. Hoffentlich war das auch heute der Fall.
»Er ist ziemlich im Stress.« Sie stützte das Kinn auf ihre Hand und sah aufs Bett. »Wir sehen uns in letzter Zeit nur an den Wochenenden. Aber er macht das schon, und bald ist es ja vorbei.«
Ich nickte und spürte gleichzeitig, wie sich mir der Magen verkrampfte. Bald war es vorbei. Kein Lernen mehr. Keine Beschäftigung mehr, die mir half, durch den Tag zu kommen. Ich nippte von dem Kaffee und versuchte, das Gefühl beiseite zu schieben.
»Was machen wir eigentlich in den Ferien?«, fragte Alex. Ihre Stimme überschlug sich fast vor Tatendrang.
»Ach so«, sagte ich, biss mir auf die Lippe und fixierte für einen Augenblick die flüssige Kaffeeoberfläche. »Ich habe dir ganz vergessen zu sagen, dass ich in zwei Tagen nach Neustadt fahre.«
Alex richtete sich auf. »Wie, du fährst nach Neustadt?«
»Na ja, zu meinen Eltern eben«, antwortete ich.
Ein Anflug von Entrüstung verbreitete sich auf ihrem Gesicht. Ich wartete nur darauf, von ihr zur Rede gestellt zu werden, warum ich sie davon nicht unterrichtet hätte, wo ich doch genau wüsste, dass sie bestimmt etwas geplant hatte.
Doch nichts dergleichen
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