Türkisgrüner Winter (German Edition)
geschah. Stattdessen glättete sich ihre Mimik und ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. »Aber ich dachte, du wolltest erst eine Woche vor Weihnachten fahren, Süße?«
»Nicolas fragte mich, ob er meine Schichten für den nächsten Monat übernehmen kann. Er ist wohl pleite und braucht dringend Geld. Na ja und bevor ich hier rumsitze …«
Alex runzelte die Stirn. »Bis Weihnachten sind es noch sechs Wochen. Du willst über die ganze Zeit in Neustadt bleiben? Freiwillig ?«
Ich hob die Schultern. »Meine Mutter ist nach dem Unfall immer noch ein bisschen eingeschränkt. Ich denke, sie kann meine Hilfe gut gebrauchen.«
Alex musterte mich, und das so präzise, dass es den Eindruck machte, sie würde keinen Zentimeter meines Gesichts dabei auslassen. Ich wandte den Blick von ihr ab und beobachtete stattdessen meinen Daumen, der über die gerillte Oberfläche des Kunststoff-Kaffeebechers strich.
»Und das soll also der einzige Grund sein«, sagte sie.
Ohne sie anzusehen, nickte ich.
»Emely«, setzte sie in ruhigem Tonfall an. »Ich glaube wirklich nicht, dass Flucht eine Lösung ist.«
»Ich flüchte nicht. Ich helfe meiner Mutter, das sagte ich doch.«
Wovor sollte ich auch flüchten? Mir würde es in Neustadt nicht besser gehen als hier, das wusste ich. Zumindest bräuchte ich aber dort keine Angst zu haben, ihrem Bruder irgendwann unverhofft über den Weg zu laufen. Allein die Vorstellung … Mein Brustkorb schnürte sich zusammen.
»Emely, Süße«, sagte Alex und legte den Kopf schräg. »Warum reden wir nicht einfach mal darüber? Vielleicht finden wir ja eine Lösung.«
»Ich möchte nicht darüber reden.«
Alex biss die Zähne aufeinander und verschüttete vor lauter Rage fast ihren Kaffee. »Ihr regt mich auf! Er will nicht reden – du willst nicht reden. Ich will aber reden!«
»Es gibt nichts zu reden«, sagte ich.
»Wie kann man nur so verbohrt sein?« Dieses Mal schwappte ein bisschen vom Kaffee über den Becherrand hinaus auf mein Bett. »Du willst mir ernsthaft erzählen, es gäbe nichts zu reden?«
Wieder nickte ich.
»Wenn das so ist, kannst du mir ja sicher erklären, warum du so blass bist. Hast du mal einen Blick in den Spiegel geworfen? Gegen deine Augenringe wäre sogar Yves Saint Laurent machtlos.«
»Du übertreibst maßlos«, sagte ich. Und wer zur Hölle war überhaupt Yves Saint Laurent ?
»Ich übertreibe kein Stück.« Sie deutete auf meine Beine. »Und guck dir mal deine Hose an. Das ist deine Lieblingsjeans. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die dir schon immer so weit gewesen ist.«
Ich blickte an mir hinunter. Die Hose saß tatsächlich ein bisschen lockerer als sonst, das war mir beim Anziehen auch aufgefallen. Allerdings war es nicht so enorm, wie Alex behauptete. Ich hatte einfach keinen Appetit in letzter Zeit. Der Kloß in meinem Hals wollte keine Nahrung vorbeilassen.
»Ich habe eben ein bisschen viel Stress. Du weißt doch selbst, wie das kurz vor dem Semesterende ist«, sagte ich.
»Ich kenne dich, wenn du Stress hast. Dieses Mal ist es anders. Weißt du, was mir aufgefallen ist, Emely?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Du bist schon mal so gewesen. Es liegt lange zurück. Damals gingen wir noch in Neustadt in die Schule. Von heute auf morgen warst du wie ausgewechselt. Ich fragte dich tausendmal, was mit dir los sei, aber du hast immer behauptet, dass alles in Ordnung wäre. So ging das ein ganzes Jahr. Und weißt du, wer fast zeitgleich mit dir komisch wurde? Und auf einmal lieber jetzt als gleich ins Ausland wollte?«
Der Kloß in meinem Hals schien um das Doppelte anzuschwellen. Ich räusperte mich, doch meine Stimme klang trotzdem rau. »Meinst du nicht, dass du jetzt Gespenster siehst?«
»Ich frage mich eher, ob ich damals zu blöd war, einen Zusammenhang zu erkennen. Ich dachte immer, dass du und Elyas wenig miteinander zu tun hättet. Aber vielleicht hattet ihr das ja doch. Heimlich.«
»Das … das … das ist total absurd, Alex!« Sie sollte auf der Stelle aufhören, irgendwelche Puzzleteile aneinander zu fügen. »Ich weiß nicht, warum du jetzt nach all den Jahren damit ankommst und seltsame Spekulationen aufstellst«, sagte ich.
»Weil ich mich frage, was mit dir los ist, Mädchen. Was mit euch los ist. Als Kinder waren wir drei miteinander befreundet. Danach wurde es zwar weniger, aber ihr habt euch nach wie vor verstanden. Und dann plötzlich, wie aus dem Nichts, seid ihr euch aus dem Weg gegangen. Elyas kam nicht mal
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