Türme Der Dämmerung
zuckt mit den Schultern. »Welche Frau möchte, dass man ihre Gefühle kennt?«
»Ja, glaubst du, ich war begeistert, dass sie jedes starke Gefühl, das ich empfand, kannte?«
Der Schwarze Magier lacht. »Frauen haben von je her gewusst, was wir Männer fühlen, auch ohne Magie.«
»Du sprichst von Frauen aus dem Osten, die nicht mehr an die Legende glauben.«
»Creslin, alle Frauen – abgesehen von denen in der Garde von Westwind, und ich vermute, dass diese es nur nicht für günstig halten, ihre Fähigkeiten kundzutun – alle Frauen können in Männern weit besser lesen als Männer in Frauen.«
»Warum macht das einen Unterschied? Wahrscheinlich liegt das ebenso an der Übung wie auch an einem angeborenen Talent.«
Der ältere Mann schüttelt den Kopf. »Was wirst du tun?«
»Warten, bis das Band fester geworden ist. Dann sehen wir weiter.«
»Lydya macht sich große Sorgen.«
»Ich auch. Glaube mir, ich auch.« Seine Hände bearbeiten den Stein instinktiv, nur seine Sinne zeigen ihm die Schwachstellen und Linien darin.
XCIV
» U nd was jetzt?« fragt Thoirkel und legt den nächsten Stein auf die Mauer am Feld.
Creslin ist so in die Ordnungs-Linien des Bodens vertieft, dass er ihn nicht hört. Die Hitze hat wabernde Schlieren über den Mauern und der Lehmstraße gebildet.
»Was jetzt?« wiederholt der dunkelhaarige Mann, der jetzt ebenso glatt rasiert wirkt wie Creslin.
Creslin kehrt wieder in sich zurück und wischt sich die Stirn ab. Es ist heißer als in der Stadt, doch laut Klerris soll der Boden hier besonders fruchtbar sein. Das hätte der Schwarze Magier Creslin nicht zu sagen brauchen. Dieser weiß, dass die Stadt auf Fels und Sand und rotem Lehm errichtet wurde, der so hart ist, dass selbst auf dem flachen Stück hinter der Pier nur wenig Unkraut wächst.
Creslin hat sich der mühsamen Arbeit unterzogen, die Klerris ihn gelehrt hatte, und die richtigen Würmer und Käfer gestärkt und den Schösslingen Ordnung eingeflößt, die Mais tragen sollen. Mit großzügiger Unterstützung der Ordnung und einer weniger großzügigen Bewässerung gedeiht der Mais, der Mehl für Brot und Teigwaren liefern soll, falls er die harten Bedingungen auf Recluce übersteht.
»Herr, Herr!« Ein Söldner läuft zu ihnen.
»Was ist geschehen?«
»Piraten! Ein Überfall! Viele, viele Segel!« schreit der Mann.
»Verdammt … verdammt!« Creslin schickt seine Sinne zu den Winden auf dem Nordmeer, wo ein Wald aus Masten sich dem Ufer nähert. Unter den Segeln und in den Kielen lauert keine weiße Energie, doch die vielen Bogenschützen und Bewaffneten kündigen etwas anderes an.
Der Mitregent von Recluce wirft das Schwert über die Schultern, blickt forschend zum Himmel und ruft die Winde. Thoirkel läuft neben ihm.
Aus der Feste erschallt eine Westwind-Trompete.
Creslin ruft die kalten hohen Winde vom Dach der Welt herbei.
Kriegsschiffe!
Ein Dutzend Schiffe gleiten mit teilweise gerefften Segeln auf den Hafen zu. Das erste Schiff ist bereits an der Mole vorbei. Jetzt werden zwei kleine Boote zu Wasser gelassen.
»Dunkelheit!« murmelt er und ruft verzweifelt nach den Winden. Doch können diese erst hier sein, nachdem bereits zwei Schiffe an der Pier festgemacht haben.
Eine Schar der Garde läuft zur Pier. Creslin wird heiß und kalt, als er mittendrin die flammendroten Locken erblickt.
… ich werd’s dir zeigen, teurer Gatte …
Verzweifelt schwingt sich seine Seele in den Himmel und reißt die Eiswinde wie mit den Wurzeln heraus. Doch sosehr sich die Winde auch beeilen und im Westen sich dunkles Gewölk auftürmt, die Schiffe mit den Bewaffneten sind schneller. Gleich werden sie an der Pier anlegen.
Creslins Herz schlägt bei den Gedanken an Megaera schneller. Er zwingt sich, an etwas anderes zu denken.
Eine zweite Abteilung der Garde und die diensthabenden Söldner aus Montgren laufen von der Feste hinab in den Hafen.
Jetzt segeln das dritte und vierte Schiff am Hafen vorbei auf den seichten Küstenstrich zu, wo sie landen können. Selbst wenn es der Garde gelingt, den Hafen zu verteidigen, werden sie alsbald von hinten angegriffen werden.
Pfeile sausen von den Schiffen im Hafen, an deren Masten die orangerote Sonne Hamors weht.
Creslin beschwört Winde, die er bisher noch nie gerufen hat. Sie wehren sich. Er fällt in den roten Staub der Straße.
Thoirkel hebt ihn auf. Eine Soldatin aus Westwind liegt auf der Pier. Ein Pfeil hat ihren Hals durchbohrt.
Der Himmel ist jetzt grau.
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