Türme Der Dämmerung
Der Himmel scheint purpurn. Er spürt die Nässe des Regens. In der Ferne donnert es.
Er döst ein, doch nicht für lange. Als er wieder aufwacht, ist Lydya bei ihm. Draußen plätschert noch immer der Regen.
»Megaera?«
»Ihr geht es besser als dir. Sie ist in der Schwarzen Residenz. Die Entfernung hilft ein wenig. Allerdings ist das Band zu fest, als dass sie sich lösen könnte, ganz gleich, wo du dich aufhältst.«
Lydya reicht ihm den Becher.
»Igitt! Das Zeug ist so bitter.«
»Du brauchst es.«
Er trinkt. Dann sinkt er erschöpft zurück.
»Ich habe das nicht besonders gut gemacht«, sagt er so leise, dass die Wachen vor der Tür ihn nicht verstehen können.
»Da alle euch beide für große Helden halten, bezweifle ich, dass jemand dein Urteilsvermögen in Frage stellt. Alle blicken nur zum Himmel.« Sie lächelt.
»Was ist geschehen?«
»Du hast alles mitangesehen. Nachdem du die hamorischen Schiffe zerstört hattest und Garde und Söldner die versprengten Feinde erledigt hatten, war nicht mehr viel übrig.«
»Wie viele haben wir verloren?«
»Trotz des Pfeilhagels weniger als zwanzig.«
Creslin schüttelt den Kopf. Grelle Sterne blitzen vor seinen Augen auf. Die Verluste sind viel zu hoch. Hätte er das Meer besser im Auge behalten, hätte er viele dieser Verluste vermeiden können.
»Du kannst die Vergangenheit nicht rückgängig machen.«
»Es ist schwer, nicht daran zu denken.« Creslin leckt sich die ausgetrockneten Lippen. »Dumm … wie dumm.«
»Was? Weil du ein Mensch bist? Oder weil du alles selbst tun willst?« Zum ersten Mal klingt die Stimme der Heilerin scharf. »Du kannst nicht alles tun. Auch ihr beide gemeinsam könnt es nicht. Megaera ist beinahe so schlimm wie du geworden. Doch darüber kannst du später nachdenken. Jetzt trink noch einen Schluck.«
Er gehorcht. »Wie geht es Megaera?« Doch Lydya beantwortet die Frage nur ausweichend.
»Sie hat etliche Kratzer, doch keine Pfeilwunden. Außerdem leidet sie unter dem Schock deiner Wunde.«
»Verflucht, mein schwacher Magen …« Dann versinkt er wieder in den Schlaf.
Als er erwacht, ist es heller Tag. Sein Verband ist gewechselt worden. Eine junge Soldatin bringt ihm einen Becher. Der Inhalt schmeckt nicht so übel wie Sumpfwasser, aber doch so bitter, dass schales Bier im Vergleich dazu wie köstlicher Wein munden würde. »Wie viel Zeit ist vergangen?«
»Seit der Schlacht? Vier Tage.«
Creslin macht sich Sorgen um Megaera – und ob die Schwarze Residenz bei dem ständigen Regen auch bewohnbar ist. Zaghaft bewegt er die Finger der rechten Hand. Sofort schießt ein heftiger Schmerz in die Schulter. Hätte er doch nur nachgedacht! Eine weitere Klinge aus Westwind wurde auf der Pier wirklich nicht gebraucht. Wahrscheinlich hatte er nur im Weg gestanden. Doch hätte er unmöglich untätig zuschauen können, wie die anderen für ihn kämpften.
»Wie fühlt Ihr Euch?« Hyel ist eingetreten.
»Na ja, so gut wie …« Er bricht ab. Sinnlos, öffentlich seine Dummheit einzugestehen. »So gut wie es einem geht, wenn man einen Pfeil in die Schulter bekommen hat. Tut mir leid, dass ich es dir und Shierra überlassen habe, die Schweinerei zu beseitigen.«
Hyel grinst. »Es war nicht ohne Reiz. Ich habe Euch nicht wirklich geglaubt, bis ich die Garde im Kampf sah.« Er schüttelt den Kopf. »Die Männer, die noch da sind, halten Euch für einen Engel, der zurückgekehrt ist …«
»Das ist wohl etwas überzogen.«
Hyel schüttelt den Kopf. »Nein, ist es nicht. Sie haben gesehen, wie Ihr ein halbes Dutzend Männer getötet und den Sturm herbeigerufen habt, der elf Schiffe zerstörte. Die Stürme toben noch immer. Und die Mitregentin hat durch ihr Feuer ein Schiff und zwanzig hamorische Seeleute vernichtet. Etliche hat sie mit ihrer eigenen Klinge getötet.«
Creslin möchte das Thema wechseln. »Was ist mit den Überlebenden? Gibt es überhaupt welche?«
»Viele nicht, ungefähr dreißig, die meisten von dem Schiff, das Ihr an Land getrieben habt. Euer Einverständnis vorausgesetzt, haben Shierra und ich beschlossen, sie bei den Bauarbeiten und auf den Feldern einzusetzen, bis Lösegeld eintrifft oder zumindest bis der Regen aufhört. Es schien uns sinnvoll, sie in kleine Gruppen aufzuteilen. Klerris hat genug Glas hergestellt, um sämtliche Fenster in der Schwarzen Residenz einzusetzen. Sobald das Wetter sich bessert, wollen wir das Haus und die Gästehäuser fertig bauen. Danach die Herberge.« Hyel grinst verlegen.
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