Türme Der Dämmerung
davon. Leise singt Creslin vor sich hin. Die Worte sind nur für seine Ohren bestimmt. Behutsam geht er mit dem Hammer um und setzt nur soviel Kraft ein, wie es bei diesem ordnungsverstärkten Werkzeug nötig ist.
»Der Weg ist der Weg …«, summt er.
Schließlich legt er Hammer und Meißel fort und geht zur Zisterne und zum Außenwaschraum. Seine Schritte werden vom Rauschen des Meeres unter der Terrasse übertönt.
Beim Rasieren fragt er sich, ob es gerecht ist, was er plant.
Nein, es ist nicht gerecht. Doch haben sie eine andere Wahl? Er sieht keine. Sämtliche Vorschläge Lydyas und Klerris’ haben zu nichts geführt. Nein, er wird nicht nur Megaeras Freund für den Rest des Lebens sein, nicht, wenn ihre Seele der seinen eingebrannt ist. Er will auch nicht den Rest des Lebens damit verbringen, auf der Hut vor ihrer scharfen Zunge und seinen Gefühlen zu sein.
Das kalte Wasser klärt seine Gedanken. Als er sich angekleidet hat, ist er so ruhig, dass er keine Unruhe verströmt, bis Megaera dicht vor ihm steht. Er geht über die Terrasse, um zu sehen, wie die Sommersonne auf den Wellen glitzert, während er auf sie wartet.
Etwas später wird Klerris kommen. Selbst Klerris weiß nicht genau, warum Creslin ihn bat, dabei zu sein.
»… wie jegliches Leid Freude ist …« Er hofft es. Doch dann schaudert es ihn bei dem Gedanken daran, was er vorhat. Aber gibt es eine andere Lösung?
Möglich, doch welche? Er hat Lydya zugehört, er hat Megaera zugehört. Klerris vermochte keine Antworten zu bieten. Er dachte, dass Antworten bedeutungslos seien, sofern der Fragesteller sie nicht selbst finde.
Dann hört Creslin Megaeras Stiefel. Er bleibt auf der Terrasse, während sie zum Waschhaus geht.
Erst als sie auf die Terrasse kommt und ihn fragt, ob er sie zur Feste begleite, dreht er sich um. Hinter seinen Augen liegt eine Dunkelheit, die ihn viel älter aussehen lässt, als er ist.
»Du machst dir Sorgen?« Sie legt die Hand auf den Schwertgriff.
»Du hast recht. So kann es nicht weitergehen.«
Sie runzelt die Stirn. »Alles geht doch gut. Wir können die Gewürze ernten, die Händler haben das Lagerhaus fertig gebaut …«
»Ich meine dich und mich.«
»Du bedrängst mich wieder.«
»Ich habe einige Entscheidungen gefällt.« Er tritt zu ihr und nimmt ihren Arm, als wolle er sie begleiten.
»Ich benötige keine Hilfe.«
Wortlos nimmt er ihr Kinn in die rechte Hand und hebt ihr Gesicht zu sich.
Sie möchte zurückweichen, doch seine Muskeln sind hart wie Eisenbänder. »Du kannst mich nicht zwingen.« Sie will das Kurzschwert aus Westwind zücken.
Er hält sie mit der Linken fest. »Ich weiß.«
Megaera tritt ihm mit aller Kraft gegen das Schienbein. Creslin stolpert, schluckt jedoch den Schmerz und konzentriert sich auf ihre Seele.
»Nein … nein!«
Doch es ist zu spät, sie sinkt schlaff in seine Arme.
Creslin hält sie. Tränen strömen aus seinen Augen, als er sie betrachtet. Da ihr Geist schläft, ist ihr Körper so leicht wie eine Feder. Er trägt sie in ihr Gemach und legt sie aufs Bett.
Dann läuft er vor dem Fenster auf und ab, bis Klerris eintrifft. Obgleich Lydya nicht eingeladen war, hat sie den Schwarzen Magier begleitet.
»Tu es nicht! Ein zweites Lebensband wird sie töten – und dich ebenfalls«, fleht Lydya.
Creslin blickt sie an und öffnet seine Seele, soweit es möglich ist. »Ich habe sie nie angerührt. Nur ein einziges Mal in Gedanken, als ich nicht ahnte, wer sie war. Ich habe mich bemüht, ihr ein Freund zu sein. Ich habe mich bemüht, ihr den Hof zu machen, Lieder für sie zu singen und einfühlsam zu sein. Die Lage scheint nicht besser als am Anfang zu sein, eher schlimmer. Mein Tod wird sie umbringen … Aber wenn wir so weiterleben, werden wir uns gegenseitig hassen. Und jetzt sagt mir: Wäre das besser?«
Lydya schließt die Augen.
»Sagt, könnt ihr mir versichern, dass alles besser wird?« fragt Creslin nochmals.
»Nein, das kann ich dir nicht versprechen.«
»Und wird alles schlimmer, wenn ich alles so empfinde und weiß wie sie?«
»Dein Plan wird euch beide innerhalb weniger Tage das Leben kosten oder …«
»Oder?«
»Ich weiß es nicht. Niemand hat bis jetzt so ein Doppelband versucht.«
»Sag mir, dass ich einen Fehler begehe!«
Lydya blickt Creslin tief in die Augen. »Du benutzt Gewalt, um Gewalt auszugleichen. Weil das zuerst begangene Unrecht so groß war, könnte das die einzige Antwort sein. Doch das macht dein Verhalten nicht
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