Türme Der Dämmerung
Ewigkeit. Doch das Warten wird nichts bringen. Traurig geht er zum Waschraum.
Während der Genesung hat er nicht viel getan, aber sehr viel nachgedacht. Doch mit Hilfe der Gefangenen sind die drei Gästehäuser fertig gebaut, und die Schwarze Residenz gleicht den Plänen, die Klerris damals in der Feste auf den Tisch gelegt hatte. Das Problem ist jedoch, dass die beiden Menschen, für die sie erbaut wurde, nicht imstande sind, jeweils die Nähe des anderen zu ertragen.
Creslin stellt die kalte Dusche ab und trocknet sich mit dem Handtuch ab, das er durch Candar und noch weiter bei sich getragen hat. Er lächelt gequält. Jetzt trägt er einen Titel, obgleich er nie einen begehrte, und besitzt ein Land, das er nie haben wollte, und liebt eine Frau, wegen der er mitten im Winter durch die Schneemassen Westwinds floh, nur um sie nicht heiraten zu müssen. Dennoch hat er sie später geheiratet – aus Bequemlichkeit.
Und weil er sie begehrte, wie er sich eingestehen muss. Gewaltsam reißt er die Gedanken von den Bildern der rothaarigen Schönen los, ehe diese Phantasien zu plastisch werden.
Begehren oder nicht, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass sie beide über ihr Schicksal entscheiden. »Über unser Schicksal entscheiden? Wie anmaßend!«
Er zieht ein kurzärmeliges Hemd und die Stiefel an. Dann geht er mit noch feuchtem Haar die staubige Straße hinab. Er hofft, dass eines Tages eine breite gepflasterte Straße durch ganz Recluce führen wird. In einem Punkt hatten die Weißen Magier recht: Gute Straßen bringen Menschen zusammen und fördern den Handel. Doch das kommt später. Vorausgesetzt, Megaera wird ihm je ihre Gunst schenken.
Beim Gehen schickt er die Sinne zu den Winden aus. Der erste Strand, den er mit ihrer Hilfe absucht, hat Vögel und Sand zu bieten, doch keinen schwarzen Felsen – oder Megaera. Am zweiten steht ein schwarzer Findling, doch von Megaera keine Spur.
Fünf Strände und vier Meilen später erkennt er ihr rotes Haar. Sie sitzt auf einem schwarzen Findling.
»Megaera!« Sein Herz schlägt schneller.
… sei verdammt! … teurer Gatte …
Die unausgesprochenen Worte treffen ihn wie Schläge. Er spürt kalte Angst in sich. Angst? Nicht seine Angst.
… weil du stärker bist als ich, abgesehen vom Willen … weil ich immer gezwungen sein werde, mich dir zu unterwerfen … Mein Körper vermag es nicht zu ertragen … so wie deine Seele es nicht erträgt …
Die Gedankenfetzen überschlagen sich in seinem Kopf. Unwillkürlich verlangsamt er die Schritte. Über ihm liegen die Wolken wie ein dünner Schleier vor der goldenen Sonne. Er bleibt vor dem schwarzen Felsen stehen.
»Megaera?«
»Ja, teurer Gatte.«
»Warum … warum meidest du …?«
… um meine Seele zu retten … mich …
»Die richtige Bezeichnung ist ›fliehen‹«, erklärt sie.
Welche Antworten hat er? Er weiß nur, dass er diese Frau immer geliebt hat.
… Liebe? Du weißt ja nicht, was Liebe ist … du kennst nur Lüsternheit …
»Du hast diese Frau immer nur lüstern begehrt«, verbessert sie ihn.
»Nein, es ist nicht nur Begehren.« Die Ruhe in ihm bestätigt diese Worte.
Warum … Liebe? Wie kannst du das Liebe nennen?
»Du belügst dich. Was du fühlst, ist nicht Liebe«, sagt sie. Doch seine Ruhe erschüttert sie.
»Vielleicht weißt auch du nicht, was Liebe ist«, erwidert er.
… das soll ich nicht wissen … du hast ja keine Ahnung …
»Ich weiß, was ich weiß.« Creslins Herz rast, dennoch hat er ruhig gesprochen.
Du weißt gar nichts …
»Vielleicht solltest du spüren, wie sich deine Liebe anfühlt.« Megaera blickt ihm in die Augen.
»Wie sich was anfühlt?«
… deine Liebe. »Was du Liebe nennst.« Megaera lächelt.
Kann sie ihn denn niemals lieben? Theatralisch hebt sie die Hand. Feuer flammen an ihren Fingerspitzen.
Flammen laufen seine Unterarme hinauf – oder sind es Megaeras Unterarme? Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn. Sein/ihr Magen verkrampft sich bei dem Kampf zwischen Ordnung und Chaos, als hätte er die Unwahrheit gesagt.
»Aber, aber, teurer Gatte. Das ist gar nichts im Vergleich zu kaltem Eisen.« Megaeras Stimme klingt hart. Doch sein Magen verrät ihm, dass sie lügt.
… nichts im Vergleich zu dem Kampf gegen kaltes Eisen …
Feuergarben zischen zum blaugrünen Himmel empor.
Creslin steht wie gebannt da und blickt die Rothaarige an. Seine Muskeln wirken so verkrampft wie eine knorrige Eiche.
»Du hast nicht dein ganzes Leben lang gegen derartige
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