Türme Der Dämmerung
Creslin.
Der Dünne erhebt sich, hält jedoch inne. »Kannst du reiten?«
»Besser als zu Fuß gehen«, antwortet Creslin und lacht.
Hylin nickt und geht zurück an Derrilds Tisch. Dort unterhält er sich mit gedämpfter Stimme mit dem Händler.
Creslin richtet seine Aufmerksamkeit auf den hochgewachsenen Mann, der allein an einem Tisch für zwei in einer Ecke sitzt. Er hat dunkle Haare und einen Schnurrbart. Gleich darauf blickt der junge Bursche mit den Silberhaaren fort von dem Mann, den ein für andere unsichtbarer weißer Nebel umwallt.
Beinahe muss er lachen, wenn er sich vorstellt, was er sehen würde, wenn er sich betrachtete. War seine Einfalt für andere auch so deutlich zu erkennen?
»Der weiße Vogel und die Schattenfrau … bedeuten Ärger für jemanden … heute Abend.«
Die leise gesprochenen Worte lassen Creslins Ohren brennen, aber er weiß nicht, von wessen Lippen sie kamen.
Mit einem Knall stellt die dünne Schwester der Wirtin einen Humpen mit einer seifenähnlichen Flüssigkeit vor Creslin auf den Tisch. Dann bringt sie der großen Runde das Essen.
Als Creslin die Gäste im Schankraum mustert, fällt ihm auf, dass er der einzige Mann zu sein scheint, der glatt rasiert ist. Die meisten tragen Bärte. Nur Hylin und der dunkle Mann in der Ecke haben nur Schnurrbarte, und beide sind zweifellos gemietete Söldner.
Ist das Zufall? Was bedeutet es, glatt rasiert zu sein?
Vorsichtig trinkt er einen kleinen Schluck von dem warmen Ale. Seine Vorsicht wird belohnt, man kann das bittere Gebräu sogar trinken, muss es nicht hinunterwürgen. Während er auf den Fleischeintopf wartet, dringen einige nicht zu überhörende Satzfetzen an seine Ohren.
»… schwöre, das ist die Lederkleidung der Garde von Westwind … eine Frau als Mann verkleidet?«
»… hab ihn reden gehört, klingt nicht wie eine Frau …«
»… die Wetterhexe sagt, dass von Norden eine kühle Brise herüberzieht …«
Der Rauch vom offenen Kamin und aus der Küche wird so dick, dass Creslins Augen tränen. Zwei Männer in abgewetzten Hirtenjacken schlurfen über den Steinboden und setzen sich an den Tisch neben Creslin. Schaf- oder Ziegenhirten, wie ihr Geruch ihm verrät.
Geistesabwesend fährt er mit den Händen durch die Luft, als er angestrengt den Gesprächen rund um ihn herum zuhört. Sofort verzieht sich der Rauch von seinem Tisch.
»… schau!« zischt eine leise Stimme. »Der Rauch …«
Sogleich löst Creslin seinen Griff und lässt den Rauch ziehen, wohin er will.
»Was ist mit dem Rauch?«
»Ich könnte schwören …«
Der silberhaarige Jüngling holt tief Luft und verflucht sich insgeheim wegen seiner Unbesonnenheit, aber er hört weiter zu.
»… hat den dicken Händler erledigt, ohne die Klinge zu benutzen …«
»… Zunft der Meuchelmörder …«
»… du musst nicht mit ihm reden, Derrild. Zahl ihn einfach nur … für zwei Goldstücke bekommst du sonst weit und breit keinen von der Sorte.«
Creslin lächelt über diese Überschätzung seiner Fähigkeiten.
»… was wollen die Magier denn noch außer dem ganzen Land zwischen den Ost- und den Westhörnern …?«
»… dem Licht sei Dank … muss nie mehr zurück nach Landende. Warum glaubt jeder, der Ort sei’s wert …«
»… wenn wir erst in Fenard sind, kannst du dir alles kaufen, was dein Herz begehrt …«
Der Eintopf wird in einer angeschlagenen irdenen Schüssel auf dieselbe ruppige Art wie das seifige Ale serviert. Ein krummer Blechlöffel ragt aus der Schüssel, und die dünne braune Brühe tropft auf den Tisch und auf den großen, krustigen Kanten Brot, der neben der Schüssel liegt.
Creslin nimmt den Löffel. Da der Eintopf mit seinem Paprika und all seinen Gewürzen fast so scharf ist wie eine sarronnesische Burkha, kann man nicht mehr herausschmecken, welches Fleisch hier als ›Bärenfleisch‹ angeboten wird. Und doch stellen die gewürzten Kartoffeln und alten Karotten mit dem zerhackten Fleisch eine deutliche Verbesserung gegenüber der Feldverpflegung dar, von der er sich seit seiner Flucht vom Dach der Welt ernährt hat. Das Brot ist härter als alles, was er in seinem Bündel mit sich herumträgt, doch Brot und Eintopf zusammen sind durchaus genießbar.
»Sieht aber nicht aus wie ein Magier. Ist zu jung …«
»Ein Magier kann sich das Alter aussuchen.«
Creslin beachtet äußerlich diese Vermutungen einfach nicht, doch sein Fuß sucht unterdessen unter dem Tisch schon nach Bündel und Schwert, um sicherzugehen, dass
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