Türme Der Dämmerung
das niemand sieht, nur er.
»Etwas aus deiner Heimat …?«
Creslin lächelt. Er bezweifelt, dass Lorcas tatsächlich die Marschlieder Westwinds hören möchte. Was soll er spielen? Plötzlich entsinnt er sich eines Liedes vom Hof in Sarronnyn. Verhalten setzt er an …
Bitte nicht das Lied, gesungen zu werden, noch die Glocke, geläutet zu werden, oder dass meine Geschichte zu Ende sei. Die Antwort ist alles – und nichts. Die Antwort ist alles – und nichts.
Oh, weiß war die Farbe meiner Liebe, so hell und weiß, einer Taube gleich, und weiß war er, so hell wie auch sie, der mir mein Lieb entführt’ …
Frag nicht nach dem Ende der Geschichte, ob der Reim weiter erklinge. Frag nicht, ob die Sonne sie sang. Die Antwort ist alles – und nichts. Die Antwort ist alles – und nichts.
Oh, schwarz war die Farbe meiner Gedanken, so schwarz und dunkel wie tiefste Nacht und dunkel war ich, wie droben der Himmel, dessen Blitz die Lügen uns sichtbar macht.
Bitte nicht das Lied, gesungen zu werden, noch die Glocke, geläutet zu werden, oder dass meine Geschichte zu Ende sei. Die Antwort ist alles – und nichts. Die Antwort ist alles – und nichts.
Er lässt die Worte des Liedes verklingen. Dann steht er auf und legt die Gitarre auf den Tisch. Danach nimmt er wieder auf seinem Bett Platz.
Lorcas beugt sich vor. »Woher kommst du wirklich?«
Creslin beschließt, sie zu entmutigen, indem er ihr die Wahrheit sagt. »Vom Dach der Welt. Westwind.«
»Ich dachte, dort sind die Frauen die Krieger.« Sie runzelt verblüfft die Stirn. Dann schiebt sie eine widerspenstige Locke hinters Ohr und lächelt.
»Sie sind es.«
»Aber du bist ein Krieger, ein Söldner. Hylin hat gesagt, du wärst der einzige, vor dem er weglaufen würde, und er ergreift vor niemandem die Flucht.«
»Das ist eine lange Geschichte.«
Sie setzt sich neben ihn. »Wir haben Zeit. Hylin kommt nicht wieder, und Vierdra wird nichts verraten.«
»Und dein Vater?«
»Mutter hat ihn fest in der Hand.«
Creslin schmunzelt. Einiges scheint im Osten doch nicht so anders zu sein.
»Ich heiße Creslin und wurde im Schwarzen Turm geboren … Meine Ausbildung? Aemris wollte mich wohl nie lehren, mit der Klinge umzugehen. Heldra hatte ihre eigenen Gründe«, beantwortet er ihre Fragen. »Ob ich jemanden besonders gemocht habe? Da war Fiera, aber sie war in der Garde – meistens jedenfalls.« Er dachte an den einzigen Kuss draußen vor dem Schwarzen Turm.
Lorcas schmiegt sich an ihn, während er ihr sein kurzes Leben schildert. Sie ist warm und weich. Immer noch trägt sie die blaue Tunika, wie beim Abendessen, doch jetzt liegt ihr langes blondes Haar offen.
Als sie sich zurücklehnen, hat er plötzlich den Arm um sie gelegt. Einige Dinge hat er nicht erwähnt: Sarronnyn oder den mitternächtlichen Besuch Megaeras.
»Bist du wirklich ein Prinz?«
Er lacht. »Nicht wirklich. Nur Llyse kann die nächste Marschallin werden, falls sie die Fähigkeiten dazu hat. Sie muss nicht die beste Klinge schlagen, aber sie muss so gut wie eine aus der Leibgarde sein, außerdem muss sie sich im Handel auskennen, in Taktik … in allem.«
»Magst du deine Schwester?«
»Manchmal, aber manchmal ähnelt sie der Marschallin.«
»Warum nennst du sie nie Mutter?«
»Weil sie mich nicht lässt.«
»Aber … es klingt, als hätte sie viel riskiert, dich ausbilden zu lassen.«
»Wenn man es so sieht.« Creslin macht eine Pause, legt den Kopf gegen Lorcas’ Wange und schließt die Augen. »Ich glaube, ich kann nicht länger sprechen.«
»Brauchst du auch nicht.« Sie legt ihm die Arme um den Hals und küsst ihn lange und innig.
Doch dann löst er sich behutsam von ihr.
Sie lächelt. »Wenn du nicht versprochen hättest …«
Er ist verblüfft.
»Glaubst du, wir wissen nicht, was Vater befürchtet?« sagt sie ohne Vorwurf. Dann küsst sie ihn nochmals. »Außerdem wartet da draußen eine Prinzessin auf dich – und du verdienst sie.«
»Aber …«
»Denk an mich. Oft.«
Lorcas geht so leise, wie sie gekommen ist. Creslin versteht etwas besser, warum Derrild ›Weiber‹ gesagt und den Kopf geschüttelt hat.
Schnell zieht er sich aus, bläst die Lampe mit einem Windstoß aus, den er herbeigerufen hat, und schläft tief und traumlos.
XXVIII
C reslin wirft sein Bündel über die Schulter.
»Ja, junger Freund, ich wünschte, ich könnte mir einen Mann wie dich leisten«, sagt Derrild. »Aber der Handel bringt wenig ein.«
Creslin
Weitere Kostenlose Bücher