Türme Der Dämmerung
Flüssigkeit. »Das brennt ein wenig.« Sie reinigt die Wunde.
Er stößt zischend die Luft zwischen den Zähnen aus, als die feurige Flüssigkeit seine Ferse benetzt, doch er bewegt sich nicht.
»Da du gerade hier bist, möchte ich noch etwas untersuchen.« Sie legt die Fingerspitzen an seine Schläfen. Ganz kurz empfindet er Wärme im Kopf. Sie tritt zurück, noch ehe das Brennen im Fuß aufgehört hat.
Aus zwei Ellen Entfernung betrachtet die Heilerin ihn mit dunklen Augen, dann schüttelt sie fast unmerklich den Kopf. »Setz dich dorthin und lass es trocknen.«
Er nimmt auf dem Hocker Platz, den sie ihm angewiesen hat.
»Heilerin?« ertönt eine andere Stimme.
Beide schauen auf. Ein Wächter steht am Zelteingang. Zwei Gefangene tragen eine Bahre.
Der silberhaarige Mann kennt einen Träger, weil sie im selben Wagen ihre Pritschen haben. Er heißt Redrick.
»Zerschmettertes Bein«, erklärt der Wächter.
»Legt ihn auf den Tisch. Vorsichtig.«
Der Mann ohne Namen sieht zu, wie Redrick und der andere Gefangene den Verletzten auf den langen Tisch legen. Dann untersucht die Heilerin das Bein.
»Ich kann es schienen, aber der Meisterheiler in Borlen muss sich um die Knochen kümmern.«
»Dunkelheit …«, murmelt der Wächter.
»Du hast die Wahl. Zwei Knochen sind gesplittert. Ich kann sein Bein retten, aber es wird ein halbes Jahr dauern, ehe er ohne Hilfe einigermaßen gehen kann.«
»Tu, was du kannst. Ich frage den Führer der Abteilung. Ihr beiden …« Er deutet mit der Hand, in der er keine Keule hält. »Geht zurück und arbeitet weiter.« Dann wirft er einen finsteren Blick auf den Mann ohne Namen. »Wie lange dauert es, bis der wieder in Ordnung ist?«
»Nicht lange. Diesmal hast du mir einen geschickt, ehe der gesamte Fuß vereitert war.«
Der Wächter geht wortlos hinaus. Redrick und der andere Gefangene folgen ihm.
»Was ist mit meinem Bein?« fragt der Verletzte. Er ist schon älter, mit grauen Strähnen im Bart und dem schütteren Haupthaar.
»Sie werden dich zu Klerris bringen. Sie wollen es zwar nicht, aber sie werden es tun.« Die Heilerin wühlt in einer großen Truhe und holt Holzschienen und Leinenbinden heraus. »Du, Silberkopf, hilf mir mal.«
»Was?« fragt der Alte.
»Wir schienen dein Bein, damit die Knochenenden es nicht noch mehr aufreißen, wenn sie dich auf den Wagen werfen.«
Der Mann ohne Namen steht auf und geht die vier Schritte zum Tisch. Die Schmerzen im Fuß pochen nur noch.
»Wenn ich dir sage …« Die Heilerin erklärt, wie er das Bein des Verletzten halten soll. »Hast du verstanden?«
Er nickt.
Sie nimmt die Schienen und legt sie geschickt um das Bein. Der Mann schreit, doch die Hände der Heilerin bleiben ruhig.
Der silberhaarige Mann beißt die Lippen zusammen. Er weiß, dass er mehr tun sollte als das, was sie ihm gesagt hatte, doch vermag er sich nicht zu erinnern.
Schließlich liegt der Verletzte schwitzend und bewusstlos auf dem Tisch. Die Heilerin wischt ihm mit einem Schwamm den Schweiß vom Gesicht. Dann blickt sie den Mann ohne Namen an. »Du gehörst nicht hierher.«
»Ich weiß nicht, wohin ich gehöre. Weißt du es?«
Sie blickt beiseite und schüttelt den Kopf. »Lass mich deinen Fuß noch mal anschauen.«
Mit einem Hölzchen legt sie ein Stück Stoff mit Salbe über die Wunde, die nun nicht mehr eitrig gelb ist. Dann wühlt sie in der Truhe. Schließlich hält sie zwei Socken hoch.
»Heute zieh einen Socken über den Verband. Morgen entfernst du den Verband, wäschst den Fuß und ziehst den frischen Socken an. Du musst jeden Tag einen Socken waschen und am nächsten Tag den sauberen anziehen, bis der Fuß verheilt ist. Sollte es schlimmer werden, musst du so schnell wie möglich zu mir kommen. Erkläre den Wachen, dass ich dir das gesagt habe.« Sie hält eine Hand hoch. »Wenn der Fuß völlig vereitert, kannst du überhaupt nicht mehr arbeiten.«
Der Silberhaarige zieht vorsichtig einen Socken über den Verband. Dann greift er nach dem schweren Arbeitsstiefel und blickt die Heilerin fragend an. Ähnelt sie einem Schatten, an den er sich erinnern sollte? Unsicher schlägt er die Augen nieder.
Langsam zieht er den Stiefel an. Die Heilerin schaut ihn erst wieder an, als er seinen Korb aufnimmt und gen Westen zur Geröllpyramide hinkt.
XXXVII
» Z urzeit leisten sie dem Gleichgewicht nur Lippenbekenntnisse und vergessen die Legende völlig.«
»Können wir der Legende wirklich Glauben schenken?« fragt die
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