Türme Der Dämmerung
jetzt?« murmelt er vor sich hin. »Helisse! Helisse!« Er kniet neben der Bewusstlosen. »Und was jetzt?«
II
Sturm-Meister
XLI
Tollkühn reitet der Jüngling hoch auf den Winden
Über Klippen er mühelos sich schwingt
Mit dem Schwert auf dem Rücken, der Seele im Wind.
So ist er, der tollkühne Jüngling, hoch auf den Winden.
Mit Wut auf den Fersen und silbernem Haar
Verließ er das Eis auf dem Dach der Welt
Und gab sich hin der Magie als Entgelt.
Dieser tollkühne Jüngling, hoch auf den Winden.
Die Augen aufs Dunkle gerichtet, die Seele aufs Eis,
Floh er vor dem Gold der Tyrannin geschwind,
Sich hinzugeben einer Liebe ohn Preis.
Dieser tollkühne Jüngling, hoch auf den Winden.
Viele Soldaten suchten so manches Jahr
In rauen Bergen, wo tiefe Wälder sind,
Doch nie sie fanden, was unsichtbar:
Den tollkühnen Jüngling, hoch auf den Winden.
›Der tollkühne Jüngling‹
Sarronnesische Weise
(Anonym)
XLII
U nter dem Baumstamm blickt Creslin in einen unnatürlich blauen Himmel empor. Zwei Aaskrähen ziehen immer größer werdende Kreise, bis dorthin, wo sich die Straße der Magier weiter durch die Osthörner frisst.
Woher hatte er die Kraft und den Mut, in dem reißenden Fluss zu schwimmen und der Weißen Garde der Magier beim Straßenbau zu entfliehen? Hatte die Heilerin mit ihren Händen die Blockade seiner Erinnerungen gebrochen? Oder ein anderer? Oder etwas anderes? Was auch immer der Grund gewesen sein mochte – er war den Weißen Magiern entkommen. Nie wieder würde es ihm gelingen, eine solche Flucht lebend zu überstehen, deshalb durfte er sich nicht fangen lassen.
Im Osten kreisen zwei weitere scharfäugige Raubvögel. Er hat die Störungen der Winde gespürt, die die Stürme nach Ost und West abdrängten. Dann bleiben seine Augen an einer dünnen, glitzernden Linie haften: noch ein Fluss, der ihn vielleicht nach Osten führt.
In seinem Kopf wirbeln Erinnerungen wie Winde. Er ist zwei Wesen zugleich: Silberkopf und Creslin. Und jeder erinnert sich an ein unterschiedliches Gestern. Das eine Ich denkt an die Arbeit am Straßenbau, das andere an glitzernde weiße Steine in Fairhaven und einen Gitarristen, der kaum Silbertöne zustande brachte – und das nur im Schutz einer Schenke.
Musik … warum mögen die Weißen Magier sie nicht? Viel zu viele Fragen und viel zu wenig Antworten. Und wer bist du nun?
Er ist ein Mann. Ein Mann, der Musik fühlen kann, sowie die Ordnung hinter der Musik. Ein Mann, der mit Bogen und Klinge besser als die meisten umzugehen versteht. Ein Mann, der die Winde seinen Wünschen gemäß drehen und wenden kann. Ein Mann, der außerhalb des Dachs der Welt wenig vom Leben weiß, noch weniger von Frauen versteht, obgleich er unter ihnen aufgewachsen ist. Ein Mann, der keine Ahnung hat, welches Schicksal ihm bestimmt ist.
Ungebeten dringen neue Worte in seine Gedanken: Du kannst dein Schicksal lenken, doch nicht vor ihm davonlaufen.
Doch was ist sein Schicksal? Musiker nicht, auch nicht Soldat oder Student – was war seine Rolle? Warum kreisen weiße Vögel und Aaskrähen über ihm? Derartige Fragen helfen ihm aber nicht, den Weißen Magiern zu entkommen. Oder etwas zu essen zu finden.
Am wolkenlosen Himmel ziehen die Aaskrähen weiter nach Norden und nähern sich seinem Versteck. Seine Ferse schmerzt, doch mehr, als die Wunde sauber zu halten, kann er nicht tun. Er erinnert sich, wie die Heilerin die Wunde berührt hat. Wahrscheinlich hat sie die Heilung beschleunigt. Er erinnert sich an ihre Hände auf seiner Stirn.
Aber … wer? Warum? Jemand leistete den Weißen Magiern Widerstand und half ihm, ohne zu erklären, warum, und ohne ihm Anweisungen zu erteilen, obgleich diese Hilfe äußerst gefährlich war. Aber die Heilerin ist nicht die Schattenfrau Megaera.
Er versucht, Pläne für die nächste Zukunft zu schmieden. Das Wetter ist erträglich. In Certis und Sarronnyn ist die Ernte bald reif, aber er hat nicht einmal ein Messer, nur eine ärmellose Tunika, verwaschene Hosen und Arbeitsstiefel. Nicht einmal einen Gürtel.
Wie kann er den Weißen Magiern entkommen? Jeder Versuch, die Winde zu beeinflussen, wird ihre Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Er betrachtet den steinigen Abhang, die vereinzelten Fichten und die niedrigen Eichen – und lacht verbittert.
Geduld. Mehr braucht er nicht – und die Bereitschaft, alles zu essen, was essbar ist. Dann müsste er sich zu den Ebenen von
Weitere Kostenlose Bücher