Türme Der Dämmerung
scheint.
Aldonya bleibt vor einem schweren Portal stehen.
»Diese Tür führt in den Innenhof. Die Stallungen des Herzogs befinden sich am anderen Ende.«
Ehe Aldonya fortgehen kann, hält er sie am Arm zurück. »Wer ist sie?«
»Das wisst Ihr nicht?«
»Ich habe das Gefühl, ich sollte es wissen, aber ich muss sie in gesundem Zustand sehen. Sie scheint mich gemieden zu haben.«
»Sie handelt nach eigenem Gutdünken, aber im Herzen ist sie gut.«
»Im Herzen gut?«
Aldonya verkrampft sich.
»Ich kenne sie nicht wirklich.« Creslin wundert sich, dass er die Dienerin besänftigen möchte.
»Vielleicht solltet Ihr, Euer Gnaden …« Die junge Frau neigt den Kopf und läuft zurück.
Creslin schmunzelt. Die Dienerin ist der geheimnisvollen Frau treu ergeben, seltsam. Er öffnet das Portal und tritt auf den sauber gefegten, gepflasterten Innenhof hinaus. Er bleibt im Schatten stehen. Der Morgen wirkt kühl. Ja, der warme Sommer ist in der Tat vorbei. Weiße Schäfchenwolken stehen am blauen Himmel. Das erinnert ihn daran, dass er über ein halbes Jahr verloren hat, da er sich an diese Zeit nur als ›Silberkopf‹ erinnert.
Auf der anderen Seite des Hofs, keine dreißig Ellen entfernt, stehen zwei Pferde. Ein Gardesoldat in Grün und Gold sitzt auf einer schwarzen Stute und hält die Zügel eines kastanienbraunen Wallachs in der Hand.
Creslin geht hinüber.
»Lord Creslin?«
Er nickt.
»Ihre Gnaden wartet vor dem Schloss.«
Die schwarze Stute unterstreicht die Aufforderung, indem sie den Schwanz hebt. Creslin steigt auf den Kastanienbraunen. Vor dem Sattelknopf liegt ein Kurzschwert aus Westwind und die Schulterbefestigung der Scheide, die Creslin am liebsten trägt. Sofort legt er sie an. Der Soldat berührt mit der Rechten den Säbel in seinem Gürtel.
Die beiden Männer reiten durch den Torbogen, der in den Haupthof des Schlosses führt. Kurz vor dem Tor gibt eine Wache dem Kameraden im Wachhaus ein Zeichen.
Das mächtige, mit Eisen beschlagene Portal öffnet sich. Der Klang der Hufe hallt laut, als die beiden Reiter durch den Torweg vorbei an den – vor kurzem verstärkten – äußeren Mauern reiten. Hinter ihnen schließt sich das Portal wieder. Eisenstangen, so dick wie die Körpermitte eines Mannes, senken sich in die steinernen Sockel.
Vier berittene Wachen und die Frau warten am Ende der Zugbrücke. Als Creslin sich nähert, treibt die Frau ihr Ross vorwärts.
Auf den Hängen des Schlossbergs sind sämtliche Büsche und Bäume gefällt, so dass man die grauen Granitmauern Vergrens sieht.
Eine leichte kühle Brise zaust Creslins langes Haar. Rechts von ihm, zwei Meilen tiefer, stehen die Stadtmauern. Er fragt sich, warum das Schloss die Stadt nicht einbezieht oder zumindest daran grenzt. Die Frau vor ihm treibt ihr Ross zu einer schnelleren Gangart.
Statt den Kastanienbraunen ebenfalls anzutreiben, lässt Creslin ihn im Schritt gehen. Er holt tief Luft und ist froh, wieder im Wind und im Sonnenschein zu sein. Als sie die ersten Bäume erreichen – ein kleiner Hain, der an eine niedrige Mauer um eine Weide mit schwarzgesichtigen Schafen grenzt –, wartet die Dame etwas abseits ihrer Eskorte auf ihn.
»Guten Tag.« Creslin bleibt neben ihr stehen.
»Du reitest gut.« Ihr Lächeln ist höflich, das lange rote Haar zurückgebunden und teilweise von einem blauen Seidentuch bedeckt.
»Ich bin ein bisschen aus der Übung.«
»Da sieht man aber nicht.« Sie steigt ab und führt ihr Pferd zu einer kleinen Wiese unter einer hohen Eiche. Die Zügel legt sie um einen Pfosten an der Mauer. Dann nimmt sie auf einem flachen Stein Platz.
Creslin bindet seinen Wallach ebenfalls an, bleibt jedoch bei der Mauer stehen. Trotz der Entfernung spürt er ein Band … etwas … zwischen ihnen. Er fühlt das Flackern unsichtbarer schwarzweißer Flammen, die sie umgeben.
»Wer bist du?« fragt er schließlich.
»Weißt du das nicht?«
»Warum sagst du es mir nicht einfach? Warum all diese Spielchen? Ich weiß, dass du eine Art Hexe bist. Alle weichen vor dir zurück.«
»Ich habe nicht gesehen, dass sie sich dir an den Hals werfen, Creslin.« Ihr Ausdruck ist sarkastisch.
»Aber der Herzog? Die Eskorte?« Er studiert ihre Augen.
Ihr Gesicht wirkt blass und ernst. »Die Eskorte ist für mich, aber auch für dich da. Der Herzog ist mein Vetter, und er wünscht aus tiefster Seele, ich wäre nicht hier.«
»Wer bist du?« wiederholt er.
»Du weißt es, auch wenn du es dir nicht eingestehen
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