Türme Der Dämmerung
Augen der Frau auf und nickt. »Andre, danke für alles.«
Der Schafzüchter hält die Augen weiterhin gesenkt.
»Ich meine es ernst. Ohne euch wäre ich wohl kaum noch am Leben.«
»Schäfer!« Die Stimme der Rothaarigen klingt befehlend, doch ruhig.
Andre blickt sie an.
»Ich will ihm kein Leid antun, doch hier kann er nicht bleiben.«
Creslin blickt auf den leeren Sattel und fragt sich, wo der dazugehörige Soldat wohl sein mag.
»Euer Gnaden?« sagt Mathilde. »Ihr werdet uns doch nicht vergessen, oder?«
Nein, er würde die Freundlichkeit dieser Familie nie vergessen. Auch das ernste schmale Gesichtchen und die großen braunen Augen des kleinen Mädchens nicht.
»Ich werde immer an euch denken, Mathilde.«
Dann umarmt er den Schafzüchter und drückt ihn an sich, um seinen Dank zu bekräftigen. Inzwischen ist die Rothaarige aufgestiegen. Sie nickt dem Pferd mit dem leeren Sattel zu.
»Steig auf. Wie willst du sonst nach Vergren kommen?«
»Aber …«
»Dreh dich um, Magier«, sagt ein Mann mit kurzem schwarzsilbrigem Haar und einer Adlernase.
Creslin sieht zwei Armbrüste auf sich gerichtet. »Nicht gerade freundlich.«
»Sie sind etwas … übervorsichtig«, meint die Rothaarige. Sie lacht. »Siehst du, Florin, ich bin wirklich vollkommen sicher.«
»Ich schütze Euch, wie ich es für gut heiße. Ich handle auf Befehl des Herzogs.«
Creslin schwingt sich in den Sattel. Doch muss er sich an der Mähne festhalten, bis sich der Schwindel im Kopf legt. Ihm fehlt die Kraft.
»Alles in Ordnung?« fragt die Rothaarige.
»Ja, wenn wir nicht zu weit reiten.« Er blickt zu dem kleinen Mädchen hinab. »Leb wohl, Mathilde.«
»Lebt wohl, Euer Gnaden.«
Sie reiten los. Creslins Pferd ist größer als die Bergpferde, auf denen er reiten gelernt hat.
»Warum habt Ihr mich geholt?« fragt er die Frau, die ihm seltsam bekannt vorkommt. Doch als er die Erinnerung bemüht, flackern kleine rote Punkte vor seinen Augen.
»Du weißt wirklich nicht …« Nach einem Blick auf Florins finstere Miene senkt sie die Stimme. »Vielleicht solltest du uns erzählen, wie du hierher gelangt bist.«
»Würde ich am Anfang beginnen, bliebe uns keine Zeit für die spannenderen Teile.«
Es regnet. Creslin lässt die Tropfen fallen, wohin sie wollen, da er nicht die Kraft hat, sich vor ihnen zu schützen. Und verglichen mit Westwind ist der Regen nicht kalt.
»… reitet zu gut für einen Magier, wenn du mich fragst …«
»… ohne Jacke in diesem Regen … scheint nicht mal zu frieren …«
Creslin schenkt den leisen Bemerkungen, die der Wind ihm zuträgt, keine Beachtung. »Ich habe meine Heimat im Westen verlassen …«, beginnt er.
»Warum?« unterbricht ihn die Rothaarige.
Er zuckt mit den Schultern. »Um einer geplanten Heirat zu entgehen.«
»War diese Vorstellung so grauenvoll, dass du gleich die Osthörner überqueren musstest?«
Er verbessert ihre Vorstellung über die Entfernung nicht, die er zurückgelegt hat, sondern konzentriert sich darauf, im Sattel zu bleiben. »Ja«, antwortet er schließlich. »Die Sitten und Gebräuche dort … unterscheiden sich sehr von den hiesigen. Jegliche Entschlusskraft eines Mannes wird … ihm geraubt.«
Er muss sich zusammennehmen, um im Sattel zu bleiben. Der kalte Regen auf dem Gesicht lindert die inwendige Hitze etwas. Wie viele Berge sie hinauf- und hinabgeritten sind, vermag er nicht zu sagen. Auch nicht, wie oft er auf die gelegentlichen Fragen der Rothaarigen mit ›Ja‹ oder ›Nein‹ geantwortet hat. Dann verlassen ihn die Kräfte.
Als er aufwacht, weigern sich seine Augen, scharf zu sehen. Die Flammen in ihm brennen wie die Feuer hinter Fairhaven, wie die Sonne auf Freyja und wie die Felsen in der Wüste hinter dem Südrand der Osthörner.
»Ruhig, langsam …« Man flößt ihm etwas ein, dann versinkt er wieder in Dunkelheit.
Als er zum zweiten Mal erwacht, sieht er die Lampe an der Wand in einem pechschwarzen Raum. Wieder flößt man ihm etwas ein, und wieder sinkt er zurück in die Dunkelheit.
XLIX
N ach geraumer Zeit wird Creslin erneut wach. Diesmal bleiben seine Augen offen. Er liegt auf weichen Kissen in einem Raum mit hoher Decke und dunkel getäfelten Wänden. Die Beine schmerzen, ein Hammer schlägt in seinem Schädel.
Schwere Samtvorhänge zieren ein Fenster mit Butzenscheiben; ein niedriger Tisch steht davor. Draußen ist es grau. Zwei hölzerne Armsessel mit dunklen Brokatkissen flankieren den Tisch, auf dem eine Öllampe aus
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