Türme Der Dämmerung
tritt zu dem Schreibtisch, der den Raum seit den Zeiten seines Großvaters beherrscht. »Trotzdem wünschte ich, Creslin wäre gesund.«
»Morgen früh werden wir einen Ausritt wagen.«
»Kann er überhaupt reiten?«
»So gut, dass er fiebrig und bewusstlos acht Meilen weit geritten ist. So gut, dass er sich bei den Wettkämpfen der Garde von Westwind einen der vorderen Plätze sichern konnte.«
»Ha! Ryessa hat demnach jemanden gefunden, der so stark und fähig ist, es mit dir aufzunehmen.«
»Sei so freundlich und halte den Mund, lieber Vetter. Du verfügst weder über Kraft noch über besondere Fähigkeiten.«
Der Herzog funkelt sie wütend an, widmet sich dann jedoch wieder dem verstaubten Schreibtisch. Im Kamin flackert noch einmal eine Kohle auf.
LI
C reslin stellt die bloßen Füße auf das dicke Schaffell, das den polierten Steinboden bedeckt. Während der letzten drei Tage hat er drüben am Fenster am niedrigen Tisch die Mahlzeiten eingenommen, die man ihm gebracht hat.
Die geheimnisvolle rothaarige Dame hat er nicht wieder gesehen. Einzige Besucher waren ein ernster, weißhaariger Heiler und die junge Frau, die ihm das Essen bringt. Wäre nicht das luxuriöse Badezimmer im Nebenraum, hätte er ein Gefangener in irgendeiner Feste im Westen sein können.
Auf dem anderen Sessel liegt eine vollständige grüne Lederuniform, geschnitten wie die der Garde von Westwind, allerdings ist das Leder eine Schattierung heller als das grüne Leder auf dem Dach der Welt. Es liegt auch ein Dolch aus Westwind dort, doch kein Schwert.
Ihm ist nicht mehr so schwindlig wie in den vergangenen Tagen, aber seine Beine sind noch schwach. Zum ersten Mal stellt er fest, dass die Unterwäsche, die er trägt, nicht seine eigene ist. Sie ist aus weicherem Stoff als das Leinen der Garde.
Die junge, etwas pummelige Frau bringt ein Tablett.
Sie trägt nicht die grüngoldenen Farben des herzoglichen Hofs, sondern blaue und cremefarbene Kleidung. Creslin läuft das Wasser im Mund zusammen, als er die Brote und den dampfenden Becher Tee sieht.
»Guten Tag«, spricht er sie an. »Wer bist du? Du warst so freundlich …«
»Guten Tag, Herr, ich bin Aldonya.« Sie stellt das Frühstück auf den Tisch. »Ihre Gnaden möchte wissen, ob Ihr Euch heute Morgen wohl genug für einen Ausritt fühlt.«
Creslin unterdrückt ein Lächeln. Warum ist der Name der Rothaarigen solch ein Geheimnis? Warum trägt sie die Kapuze tief ins Gesicht gezogen? Warum begleitet sie stets eine Eskorte? Die Herzogin kann sie nicht sein, da sie keinerlei Schmuck trägt, der sie als verheiratet oder verlobt ausweist. Die Dienerin trägt nicht Grün und Gold, sondern Blau und Cremefarben. Die Farben sind ihm von ferne vertraut, doch erinnert er sich nicht, woher.
»Ich glaube schon«, antwortet er schließlich.
Aldonya nickt und geht.
Er bleibt ein Gefangener, allerdings einer, der gut behandelt wird und wieder ein kräftiges Frühstück erhält. Einen Augenblick lang überlegt er, ob er sich erst ankleiden soll, aber dann übermannen ihn die Erinnerungen an den Brei im Lager der Magier und die Beeren. Er greift sogleich nach dem warmen Honigbrot, den Birnenäpfeln und dem Tee. Im Laufe der Zeit werde ich wohl wieder wie jeder andere Mensch essen, denkt Creslin.
Nach einigen Schlucken Tee und mehreren Bissen Honigbrot zittern seine Beine nicht mehr. Er verzehrt alles, dann begibt er sich in den Nebenraum, um sich zu waschen.
Er legt die Lederkleidung an, die für ihn offensichtlich nach Maß angefertigt wurde, und betrachtet staunend die grauen Stiefel neben dem Sessel: Reitstiefel aus Westwind? Er lächelt. Auf den zweiten Blick sieht er, dass zwar der Stil der gleiche ist, doch sind sie vorn zu eckig, und die Schicht fehlt, die sie gegen das Eindringen von Wasser schützt.
Creslin glättet die Bettdecke, setzt sich in einen Sessel am Fenster und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Lange muss er nicht warten. Die Tür öffnet sich, und Aldonya steht mit zwei Gardesoldaten auf der Schwelle.
»Mylady erwartet Euch. Fühlt Ihr Euch kräftig genug für einen Ausritt?«
»Für einen kurzen schon.«
Creslin folgt der Dienerin und den Soldaten. Der Korridor hat keine Fenster und dicke Mauern. Aldonya geht eine Treppe hinab, die Wachen bleiben oben stehen.
Creslin begreift. Hier beginnt der Flügel mit den Wohngemächern der Familie. Offenbar ist er doch kein Gefangener, auch wenn der Herzog über den Gast nicht gerade begeistert zu sein
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