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Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Titel: Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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verworrenen Traum.
    »Sieh ihn dir an … eine Schande … die Füße auf dem Sitz …«
    »VORSICHT AN DER BAHNSTEIGKANTE … seltsam aussehendes Kind … DIE LONDONER U-BAHN-GESELLSCHAFT DANKT FÜR IHR VERSTÄNDNIS …«
    Will zwang sich, die Augen zu öffnen, und schaute die beiden Frauen an. Sofort erkannte er, dass Bartleby die Ursache ihrer offensichtlichen Empörung war. Die Frau, die die meiste Zeit redete, hatte lila getönte Haare und trug eine weißrandige Gleitsichtbrille, die schräg auf ihrer knallroten Nase thronte.
    »Pst! Sie hören dich doch«, flüsterte ihre Begleiterin und musterte Cal. Sie trug eine Perücke, die auch schon bessere Zeiten erlebt hatte. Auf dem Schoß balancierten beide identische Einkaufstaschen, als bildeten diese eine Art Schutzwall gegen die Missetäter auf der anderen Seite des Ganges.
    »Unsinn! Ich wette, die sprechen kein Wort Englisch. Wahrscheinlich sind sie auf der Ladefläche eines Lasters hierher gekommen. Ich meine, sieh dir doch nur mal ihre Kleidung an. Und der da, der macht auf mich keinen allzu hellen Eindruck. Wahrscheinlich hat er Drogen genommen oder so was.« Will spürte, dass ihre wässrigen Augen auf ihm ruhten.
    »Man sollte sie alle zurückschicken. Das ist meine Meinung.«
    »Ganz genau«, pflichtete die andere alte Frau ihr bei. Und dann nickten sie einmütig und unterhielten sich bis ins kleinste Detail über den schlechten Gesundheitszustand einer gemeinsamen Bekannten. Cal warf ihnen einen wütenden Blick zu, während die Frauen vor sich hin plapperten – inzwischen so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie die anderen Fahrgäste offenbar nicht mehr wahrnahmen. Als der Zug in eine U-Bahn-Station einfuhr und die alten Damen von ihren Plätzen aufstanden, hob Cal eine Ohrklappe von Bartlebys Wollmütze und flüsterte ihm etwas zu. Ruckartig sprang Bartleby auf und fauchte die Frauen derart böse an, dass selbst Will aus seiner Fieberfantasie hochzuckte.
    »Nein, so was! Das ist ja unerhört!«, kreischte die rotnasige alte Frau und ließ vor Schreck ihre Einkaufstasche fallen. Hastig hob sie sie auf, während ihre Begleiterin von hinten schob und schubste und zur Eile drängte.
    In heller Aufregung stürzten die beiden Frauen zeternd aus dem Wagen. »Verdammte Zigeuner!«, zischte die Rotnasige vom Bahnsteig aus. »Ihr verdammten Tiere!«, schrie sie durch die Türen, die sich langsam schlossen.
    Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, doch Bartleby hielt seinen finsteren Blick auf die zwei Frauen geheftet, die noch immer vor Empörung schnaufend auf dem Bahnsteig standen.
    Wills Neugier war größer als seine Erschöpfung, und er beugte sich zu seinem Bruder vor. »Sag mal … was hast du Bartleby ins Ohr geflüstert?«, fragte er.
    »Ach, nichts Besonderes«, erwiderte Cal mit Unschuldsmiene und betrachtete stolz lächelnd seinen Kater, ehe er wieder aus dem Fenster schaute.
     
    Will fürchtete sich vor den letzten fünfhundert Metern, die die U-Bahn-Station von den Mietshäusern trennten. Kraftlos wankte er wie ein Schlafwandler über den Bürgersteig und blieb erschöpft stehen, wenn ihm der Weg zu anstrengend wurde.
    Als sie endlich eines der Hochhäuser erreichten, mussten sie feststellen, dass der Aufzug außer Betrieb war. Will warf einen stummen, verzweifelten Blick auf die graue, mit Graffiti beschmierte Lifttür. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er seufzte, wappnete sich für den langen Aufstieg und stolperte in Richtung des schäbigen Treppenhauses. Nachdem sie auf jedem Treppenabsatz eine Pause eingelegt hatten, damit er wieder zu Atem kam, gelangten sie schließlich in das gewünschte Stockwerk und bahnten sich einen Weg um achtlos weggeworfene Mülltüten.
    Vor der richtigen Wohnung angekommen, drückte Cal auf die Klingel, doch nichts passierte. Entschlossen hämmerte er mit der Faust gegen die Tür, bis diese plötzlich und unerwartet aufgerissen wurde. Tante Jean konnte noch nicht sehr lange auf den Beinen sein – sie wirkte so müde und zerknittert wie der mottenzerfressene Morgenmantel, in dem sie offensichtlich geschlafen hatte.
    »Was wollt ihr?«, nuschelte sie undeutlich, rieb sich den Nacken und gähnte. »Ich hab nix bestellt und ich kauf nix von Vertretern.«
    »Tante Jean, ich bin’s … Will«, stieß Will hervor, wobei das Blut aus seinem Kopf wich und das Bild seiner Tante vor seinen Augen verschwamm.
    »Will …«, sagte sie vage und setzte zu einem weiteren Gähnen an, das sie aber unterbrach, als die

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