Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Vater regelmäßig Exkursionen, meistens an die Südküste nach Lyme Regis, wo sie, immer wenn es einen Erdrutsch gegeben hatte, die Küste nach Fossilien absuchten.
Rebecca dagegen organisierte ihre eigenen Ferien vollkommen selbstständig und machte häufig allein Ausflüge – aber wohin sie reiste oder was sie unternahm, wusste Will nicht, und es war ihm auch egal. Und wenn Mrs Burrows tatsächlich mal das Haus verließ, was sehr selten vorkam, trottete sie normalerweise nur durch die Geschäfte oder ging ins Kino.
An jenem Abend saßen die Burrows wie üblich mit dem Essen auf dem Schoß vor dem Fernseher und sahen sich die zigste Wiederholung einer Comedy-Serie aus den Siebzigerjahren an, die Dr. Burrows besonders mochte. Während der gesamten Mahlzeit sprach niemand ein Wort; nur Mrs Burrows murmelte einmal: »Gut … das ist gut«, wobei sie möglicherweise das Mikrowellengericht meinte oder aber das Ende jener veralteten Sitcom. Doch keines der Familienmitglieder machte sich die Mühe nachzuhaken.
Nachdem Will sein Essen hinuntergeschlungen hatte, verließ er wortlos das Wohnzimmer, stellte sein Tablett auf die Küchenanrichte und rannte die Treppe hinauf, einen Seesack mit kürzlich entdeckten Objekten in der Hand. Als Nächster marschierte Dr. Burrows aus dem Raum, ging in die Küche und stellte sein Tablett auf den Tisch. Und obwohl Rebecca ihre Mahlzeit noch nicht beendet hatte, folgte sie ihm auf dem Fuß.
»Dad, es müssen noch ein paar Rechnungen bezahlt werden. Die Überweisungsformulare liegen auf dem Tisch.«
»Haben wir denn genug auf dem Konto?«, fragte Dr. Burrows, während er seine Unterschrift auf den unteren Rand der Formulare kritzelte, ohne auch nur einen Blick auf die Beträge zu werfen.
»Ich hab dir doch letzte Woche erzählt, dass ich für uns eine bessere Hausratversicherung gefunden habe. Dadurch konnten wir bei der Versicherungsprämie ziemlich viel Geld einsparen.«
»Richtig … sehr schön. Danke«, sagte Dr. Burrows, nahm sein Tablett und ging zielstrebig auf den Geschirrspüler zu.
»Lass es einfach auf dem Tisch stehen«, rief Rebecca ein wenig zu hastig und stellte sich schützend vor die Spülmaschine. Nur eine Woche zuvor hatte sie ihn dabei ertappt, wie er versucht hatte, ihre geliebte Mikrowelle zu bedienen, indem er wild und in willkürlicher Reihenfolge auf die Tasten des Geräts gedrückt hatte, als wolle er einen verschlüsselten Geheimcode knacken. Seitdem hatte sie darauf geachtet, bei sämtlichen Haushaltsgeräten nach Gebrauch immer den Stecker zu ziehen.
Als Dr. Burrows die Küche verließ, schob Rebecca die Überweisungen in einen Umschlag und setzte sich an den Tisch, um eine Einkaufsliste für den folgenden Tag zu erstellen. Trotz ihres zarten Alters von zwölf Jahren war sie die Organisatorin, die treibende Kraft im Hause der Burrows. Sie kümmerte sich nicht nur um alle Einkäufe, sondern bereitete auch die Mahlzeiten zu, überwachte die Putzfrau und erledigte so ziemlich alle Aufgaben, die in einem normalen Haushalt von den Eltern übernommen wurden.
Rebecca als gewissenhaft zu beschreiben, wäre eine grobe Untertreibung gewesen. An der Pinnwand in der Küche hing eine Liste mit allen Lebensmitteln, die sie für einen Zeitraum von mindestens vierzehn Tagen vorrätig hielt. Außerdem führte sie über sämtliche Ausgaben der Familie sorgfältig Buch und bewahrte die penibel beschrifteten Kladden in einem der Küchenschränke auf. Dieser so umsichtig organisierte Ablauf des Haushalts geriet nur dann ins Stocken, wenn Rebecca mal nicht da war. Dann lebte der Rest der Familie von den Mahlzeiten, die Rebecca für sie im Gefrierschrank hinterlassen hatte, und bediente sich nach Lust und Laune, mit der vornehmen Zurückhaltung eines marodierenden Wolfsrudels. Nach solchen Ausflügen kehrte Rebecca dann schlicht und einfach zur Tagesordnung zurück und brachte das Haus ohne Murren wieder auf Vordermann, als akzeptierte sie, dass es auf immer und ewig ihr Schicksal sei, hinter den anderen Familienmitgliedern aufzuräumen.
Im Wohnzimmer drückte Mrs Burrows nun auf eine Fernbedienung, um mit ihrem abendlichen Marathon der Seifenopern und Talkshows zu beginnen, während Rebecca die Küche aufräumte. Gegen neun Uhr hatte sie den Haushalt erledigt und außerdem ihre Schulaufgaben gemacht, und zwar an der Hälfte des Küchentischs, die nicht von Dr. Burrows’ zahlreichen leeren Kaffeedosen belegt war, mit denen er irgendwann mal irgendetwas machen
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