Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
der feindseligen Haltung des Mannes sowieso keine gute Idee gewesen wäre. Daher verwarf er den Gedanken an jedwede Detektivarbeit sofort wieder. Außerdem konnte er ja auch ein anderes Mal herausfinden, wo der Mann und vielleicht der ganze Clan dieser »behüteten« Doppelgänger wohnte … wenn er sich ein wenig wagemutiger fühlte.
Unter der Erde wechselten sich Will und Chester bei der Bearbeitung der Gesteinswand, die Will als eine Form von Sandstein identifiziert hatte, regelmäßig ab. Will war froh, dass er Chester angeworben hatte, ihm bei den Ausgrabungen zu helfen; denn sein Freund schien wirklich ein besonderes Geschick für diese Arbeit zu haben. Mit stiller Bewunderung beobachtete er, wie Chester kräftig die Spitzhacke schwang; und sobald sich ein Riss im Fels gebildet hatte, wusste er anscheinend ganz genau, wann er das lockere Gestein herauslösen musste, das Will dann rasch in die Eimer schaufelte.
»Wie wär’s mit ’ner Pause?«, fragte Will, als er sah, dass Chester langsam müde wurde. »Komm lass uns ein paar Minuten frische Luft schnappen.« Und das meinte er wörtlich, denn durch den zugedeckten Schachteingang wurde der Tunnel, in dem sie sich befanden – etwa sechs Meter hinter der Hauptkammer –, ziemlich stickig und staubig.
»Wenn ich diesen Stollen noch viel weiter vortreibe, werde ich einen vertikalen Lüftungsschacht anlegen müssen«, erklärte er Chester, während sie beide voll beladene Schubkarren vor sich herschoben. »Aber es nervt mich, dass ich kostbare Zeit damit verschwende, während ich mich gleichzeitig tiefer nach unten graben könnte.«
Als sie die Hauptkammer erreichten, ließen sie sich in die Sessel sinken und tranken dankbar einen Schluck Wasser.
»Und was machen wir jetzt mit dem ganzen Zeug?«, fragte Chester und zeigte auf die vollen Eimer in den Schubkarren.
»An die Oberfläche schleppen und in den Graben am Rand des Geländes kippen.«
»Ist das denn erlaubt?«
»Also, wenn mich jemand fragen sollte, sage ich einfach, dass ich einen Schützengraben für ein Kriegsspiel aushebe«, erwiderte Will und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. »Außerdem, wen interessiert das schon? Für die da oben sind wir doch nur ein Haufen dummer Kinder mit Eimern und Schaufeln«, fügte er verächtlich hinzu.
»Ich glaub schon, dass sie sich dafür interessieren würden, wenn sie das hier sehen könnten – dieser Stollen ist nicht gerade das, was normale Jugendliche so machen«, sagte Chester und schaute sich um. »Und warum machst du das, Will?«
»Sieh dir das mal an.«
Behutsam hob Will eine Plastikkiste hoch, die neben seinem Sessel stand, und nahm sie auf den Schoß. Dann holte er eine Reihe von Gegenständen hervor, beugte sich über die Kiste und stellte sie einzeln auf den Tisch. Unter seinen Ausstellungsstücken befanden sich mehrere »Codswallop«-Flaschen – viktorianische Getränkeflaschen mit einem seltsam geformten Hals, der eine Glasmurmel enthielt – und eine Fülle von Medizinfläschchen unterschiedlicher Größen und Farben, die alle eine wunderschöne milchige Patina von ihrer Zeit im Erdreich aufwiesen.
»Und dann wären da noch die hier«, sagte Will ehrfürchtig und präsentierte eine ganze Serie viktorianischer Einmachgläser mit dekorativen Deckeln und Beschriftungen in einer geschwungenen alten Handschrift, die Chester noch nie gesehen hatte. Er schien sich tatsächlich für die Objekte zu interessieren. Er nahm sie einzeln in die Hand und fragte Will nach ihrem Alter und wann er sie ausgegraben hatte. Ermutigt setzte Will seine Präsentation fort, bis jedes einzelne Fundstück seiner jüngsten Grabungsarbeiten vor ihm auf dem Tisch stand. Dann lehnte er sich zurück und beobachtete genau, wie Chester reagierte.
»Was ist das denn?«, fragte Chester und stupste mit dem Finger gegen einen kleinen Haufen stark verrosteter Metallobjekte.
»Schmiedeeiserne Nägel. Vermutlich aus dem achtzehnten Jahrhundert. Wenn du genau hinsiehst, erkennst du, dass jeder Nagel anders ist, da sie handgefertigt wurden …«
Aber in seiner Begeisterung war Chester bereits um den Tisch herum zu einem anderen Gegenstand gegangen, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
»Das ist echt cool«, sagte er und hielt einen kleinen Parfümflakon hoch, sodass sich das Licht in seinen wunderschönen kobaltblauen und malvenfarbenen Schattierungen brach. »Unfassbar, dass jemand so etwas einfach weggeworfen hat.«
»Ja, völlig unbegreiflich«, pflichtete Will ihm
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