Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Geräte gefallen waren.
»Ich gehe nicht zu Tante Jean. Das halte ich nicht aus, nicht eine Sekunde. Was ist mit der Schule und meinen Freunden?«, protestierte Will.
»Welche Freunde?«, erwiderte Mrs Burrows höhnisch.
»Du kannst nicht im Ernst erwarten, dass wir dortbleiben, Mum. Die Gegend ist schrecklich, überall stinkt es, das ganze Viertel ist ein einziger Saustall«, wandte Rebecca ein.
»Und außerdem müffelt Tante Jean«, fügte Will hinzu.
»Tut mir leid, aber daran ist nichts zu ändern. Ich brauche dringend etwas Ruhe; der Arzt sagt, ich sei furchtbar gestresst … also Ende der Diskussion. Wir müssen das Haus verkaufen, und ihr werdet bei Tante Jean wohnen, bis …«
»Bis was? Bis du eine Stelle hast oder so was in der Art?«, entgegnete Will scharf.
Mrs Burrows funkelte ihn an. »Das bekommt mir gar nicht. Der Arzt hat gesagt, ich solle Auseinandersetzungen vermeiden. Dieses Gespräch ist hiermit beendet«, fauchte sie und kehrte ihnen den Rücken zu.
Als die Geschwister wieder im Flur standen, setzte Will sich auf die unterste Stufe der Treppe und starrte wie betäubt vor sich hin. Rebecca lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand.
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte sie. »Wenigstens bin ich nächste Woche nicht da …«
»Nein, nein, nein … nicht jetzt!«, brüllte Will unvermittelt und fuchtelte mit den Händen. »Nicht mit diesem ganzen Theater!«
»Hm. Vielleicht hast du recht«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Dann verfielen beide in düsteres Schweigen.
Nach einer Weile stand Will entschlossen auf. »Aber ich weiß, was ich jetzt zu tun habe.«
»Was denn?«
»Ein Bad nehmen.«
»Du kannst dringend eins brauchen«, sagte Rebecca und sah ihm nach, als er müde die Treppe hinaufstieg.
19
»Streichhölzer.«
»Ja.«
»Kerzen.«
»Ja.«
»Schweizer Offiziersmesser.«
»Ja.«
»Ersatztaschenlampe.«
»Ja.«
»Kordel.«
»Ja.«
»Kreide und Seile.«
»Klar.«
»Kompass.«
»Äh … ja.«
»Ersatzbatterien für die Helmlampen.«
»Ja.«
»Kamera und Notizbuch.«
»Ja und ja.«
»Bleistifte.«
»Okay.«
»Wasser und Sandwiches.«
»Hm … wir planen wohl einen längeren Aufenthalt, was?«, fragte Chester und warf einen Blick auf das absurd große Paket von eingewickelten Butterbroten. Die beiden Jungen saßen im Keller des Burrows-Hauses und gingen ein letztes Mal die Ausrüstungsliste durch, die Will in der Schule während der Hauswirtschaftsstunde angefertigt hatte. Nachdem sie jeden Posten auf der Liste abgehakt hatten, verstauten sie die Sachen in ihren Rucksäcken. Als sie fertig waren, verschloss Will seinen Rucksack und schwang ihn sich auf den Rücken.
»Okay, dann mal los«, sagte er mit entschlossener Miene und griff nach seinem treuen Spaten.
Er schob die Bücherwand zur Seite, kletterte mit Chester durch die Maueröffnung, zog die Regale hinter sich wieder an Ort und Stelle und sicherte sie mithilfe eines Behelfsriegels, den er angebracht hatte. Danach zwängte er sich an Chester vorbei und krabbelte auf allen vieren rasch voran.
»He, warte auf mich«, rief Chester, erstaunt über den ungestümen Eifer seines Freundes.
Am Ende des Tunnels angekommen, entfernten sie die verbliebenen Gesteinsblöcke, die mit einem gedämpften Platschen irgendwo in der Dunkelheit landeten. Chester wollte gerade etwas sagen, als Will ihm zuvorkam.
»Ich weiß, ich weiß. Du denkst, dass wir gleich in einem Strom aus Abwasser und Dreck oder so was Ähnlichem fortgerissen werden.« Will warf einen Blick durch den vergrößerten Durchbruch. »Aber ich kann sehen, wo die Gesteinsblöcke gelandet sind – sie ragen aus dem Wasser heraus. Das Wasser kann also nur knöcheltief sein.«
Im nächsten Moment drehte er sich um und kletterte rückwärts durch die Öffnung. Dann hielt er kurz inne, grinste Chester noch einmal an und verschwand aus dessen Sicht. Verblüfft starrte Chester auf das dunkle Loch, bis er nach ein paar Sekunden hörte, wie Will mit beiden Füßen laut im Wasser landete.
Hinter dem Durchbruch ging es etwa zwei Meter bergab. »Wow, das ist ja cool«, sagte Will, nachdem Chester ihm gefolgt war und nun neben ihm stand. Wills Stimme hallte unheimlich durch die Höhle, die ungefähr sieben Meter hoch und mindestens dreißig Meter lang war und, soweit die beiden Jungen es beurteilen konnten, eine Sichelform aufwies. Da sie die Felsengrotte, deren Boden größtenteils mit Wasser bedeckt war, an ihrem einen Ende betreten hatten,
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