Tunnel - 02 - Abgrund
eine solche Waffe kurz in der Hand gehalten, als der narbenübersäte Styx-Soldat ihr erklärte, wie man damit umging.
Sarah sah Rebecca fragend an. Als das Mädchen nicht reagierte, beugte sie sich zu ihr vor.
»Für mich?«, fragte sie.
Rebecca nickte langsam und schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln.
Sarah wusste, dass sie die Lederkappen an beiden Enden des klobigen Messingvisiers nicht entfernen durfte, da schon das geringste Streulicht das optische System im Inneren zerstören konnte. Vorsichtig hob sie das Gewehr an die Schulter und überprüfte sein Gewicht, während sie es auf das unbesetzte Ende des Dienstwagens richtete. Die Waffe war schwer, aber nicht so schwer, dass sie sie nicht handhaben konnte.
Sarah betrachtete das Gewehr als ein Zeichen dafür, dass Rebecca ihr vertraute – obwohl die unhaltbare Behauptung, das Mädchen sei am Morgen in Hampstead gewesen, sie noch immer ein wenig verwirrte. Sarah versuchte, sich damit zu beruhigen, dass Rebecca die Tage verwechselt hatte und es sich um einen anderen Morgen handeln musste. Dann schob sie den Gedanken bewusst beiseite, um sich auf ihre bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren.
Behutsam fuhr sie mit den Fingern über den matt glänzenden Gewehrlauf. Es gab nur einen Grund, warum man ihr diese Waffe gegeben hatte. Nun hatte sie, was sie benötigte, und sie war bereit, alles Erforderliche zu tun, um Tams Tod zu rächen. Das war sie ihm und ihrer Mutter schuldig.
Während der Zug wieder an Fahrt aufnahm, verbrachte Sarah den Rest der Reise damit, den Umgang mit dem Gewehr zu trainieren: Sie riss die Waffe immer wieder hoch, betätigte das Schloss und zog dann am Abzug, um den Bewegungsablauf zu automatisieren. Manchmal drehte und wendete sie das Gewehr aber auch einfach nur im Schoß, bis sie sich ausreichend damit vertraut gemacht hatte und es – selbst im gedämpften Licht des Dienstwagens – in- und auswendig kannte.
28
Drake hatte die Jungen auf Patrouille durch die Große Prärie mitgenommen, und nun streiften sie durch ein Gebiet, das der hochgewachsene Mann als »die Peripherie« bezeichnete und in dem sich die Zahl der Grenzer angeblich auf ein Minimum beschränkte.
Es war ein bedeutender Tag – Cals erste Expedition durch den Sumpfteich und hinaus in die riesige Ebene, seitdem Will und Chester ihn Wochen zuvor als plapperndes Wrack in das Lager geschleppt hatten. Drakes Entschluss, den Jungen in die Prärie mitzunehmen, hatte gute Gründe. Cal war mehr als bereit für einen Tapetenwechsel. In der bedrückenden Enge der Höhle hatte er fast einen Lagerkoller bekommen, und obwohl er noch immer leicht humpelte, war sein Bein fast vollständig verheilt, und er brannte darauf, die Gegend zu erkunden.
Als sie den Sumpf passiert hatten und sich mit Drake und Elliott auf den Weg machten, verspürte Will eine Art freudige Erregung darüber, dass sie zum allerersten Mal als Gruppe unterwegs waren. Nach einer mehrstündigen Wanderung, bei der Elliott die Führung übernahm, teilte Drake den Jungen schließlich mit, dass sie die Prärie bald verlassen und eine Lavaröhre betreten würden, und er schlug vor, zuvor eine kleine Pause zu machen und etwas zu essen. Danach würde er ihnen noch ein paar Dinge erklären. Nachdem er ein gedämpftes Licht in eine Senke im Boden platziert hatte, nahmen die Jungen ihre Proviantrationen entgegen und ließen sich um die Laterne herum nieder, um in Ruhe zu essen.
Es war Will nicht entgangen, dass Chester und Elliott sich nebeneinandergesetzt hatten und leise tuschelten. Sie teilten sich sogar einen Wasserbehälter. Wills gute Laune ließ schlagartig nach, und erneut fühlte er sich ausgeschlossen. Das Ganze wurmte ihn dermaßen, dass ihm der Appetit gänzlich verging.
Verärgert sprang er schließlich auf und stapfte verdrossen in die Dunkelheit, fort von der Gruppe. Er war froh, dass ihm der Anblick von Chesters und Elliotts vertraulichem Getuschel wenigstens so lange erspart blieb, bis er seine Blase geleert hatte. Während er davonstiefelte, warf er einen Blick über die Schulter auf die ganze Gruppe, die um die Laterne herum saß. Selbst Drake und Cal waren in ein angeregtes Gespräch vertieft und kümmerten sich nicht darum, was er tat.
Will hatte eigentlich nicht geplant, sich weit zu entfernen, war aber gedankenverloren immer weiter marschiert. Während er vor sich hinlief, wurde ihm immer stärker bewusst, dass er sich vom Rest der Gruppe unterschied, und zwar dadurch, dass es da etwas gab,
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