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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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keine Luft mehr zu bekommen, und begann zu schluchzen.
    Er musste sich unbedingt ausruhen. Erschöpft ließ er sich auf die Knie sinken. Dann beugte er sich vor und spürte das Geröll unter seinen Handflächen. Es ist nicht richtig. Das habe ich nicht verdient.
    Er versuchte zu schlucken, doch seine Kehle war so trocken und geschwollen, dass es ihm einfach nicht gelang. Er beugte sich noch weiter vor, bis seine Stirn den steinigen Boden berührte. Waren seine Augen geöffnet oder geschlossen? Es machte keinen Unterschied. Kleine bunte Lichtpunkte, wirbelnde Spinnweben auf der Netzhaut verdichteten sich zu verschwommenen Flecken, die vor ihm auf und ab tanzten, ihn verwirrten. Aber Will wusste, dass diese Bilder nicht real waren.
    Er verharrte in dieser Haltung, keuchend, den Kopf auf den Boden gedrückt, als plötzlich vor seinem inneren Auge ein Bild seiner Stiefmutter auftauchte. Es stand so deutlich und klar im Raum, dass er einen Moment lang das Gefühl hatte, an einem anderen Ort zu sein. Mrs Burrows saß in einem lichtdurchfluteten Raum vor einem Fernseher. Dann verschwand ihr Bild und wurde durch ein anderes ersetzt, das seinen Stiefvater an einem völlig anderen Ort zeigte, irgendwo tief in der Erde, wo er gedankenlos umherwanderte und auf seine typische Art durch die Zähne pfiff.
    Als Nächstes sah Will Rebecca, so wie er sie Tausende Male zuvor gesehen hatte: Sie stand in der Küche und bereitete das Abendessen für die ganze Familie – eine Aufgabe, die sie jeden Abend erledigte, und eine Art Konstante in Wills Leben, die selbst in seinen frühesten Kindheitserinnerungen präsent schien.
    Plötzlich wackelte das Bild, als wäre der Film aus den Zahnrädern der Transporttrommel gesprungen, und Will sah seine Stiefschwester, wie sie mit einem bösartigen Lächeln in der schwarz-weißen Uniform der Styx hin und her stolzierte.
    Miststück! Du verlogenes, heimtückisches Miststück! Sie hatte ihn betrogen, seine Familie betrogen. Das hier war alles ihre Schuld.
    Miststück. Miststück. Miststück. Miststück. Miststück!
    In seinen Augen war sie die übelste Sorte von Verräter, die man sich vorstellen konnte: verschlagen, böse, finster, ein Kuckuckskind aus der Hölle, geschickt, um sein Nest zu verwüsten.
    Steh auf! Der schiere Hass auf Rebecca rüttelte Will wach. Er holte schmerzhaft Luft und drückte sich hoch, bis er wieder auf allen vieren kniete. Er brüllte, feuerte sich an, sich aufzurappeln. Steh endlich auf! Lass sie nicht gewinnen! Mühsam hievte er sich hoch, bis er auf zittrigen Beinen dastand, die Arme in die tiefe Leere um ihn herum gestreckt, in das endlose, seelenfressende Dunkel.
    »Geh weiter! Geh weiter! RAUS HIER!«, brüllte er mit krächzender Stimme. »RAUS HIER!«
    Langsam torkelte er los, rief nach Drake und seinem Stiefvater, nach irgendjemandem, der ihm helfen konnte. Doch er hörte nichts außer seiner eigenen widerhallenden Stimme. Plötzlich prasselte hinter ihm ein kleiner Guss aus Gesteinsbrocken auf den Boden. Sofort verstummte Will – möglicherweise war es zu gefährlich, weiterhin zu rufen, aber wenigstens marschierte er unverdrossen voran und wiederholte dabei im Kopf den eingängigen Rhythmus seiner früheren Grabungsarbeiten in Highfield:
    Eins zwei, eins zwei, eins, eins, eins zwei.
    Doch es dauerte nicht lange, bis er schreckliche Wesen sah, die aus den unsichtbaren Wänden hervorkrochen und sich bedrohlich vor ihm aufbauten. Er sagte sich wieder und wieder, dass sie nicht real waren, aber das hinderte sie nicht daran, weiterhin vor seinen Augen aufzutauchen.
    Will hatte das Gefühl, dass er den Verstand verlor. Er war fest davon überzeugt, dass er verrückt werden würde, falls Hunger und Durst ihn nicht zuerst erwischten.
    Eins zwei, eins zwei …
    Er versuchte, seinen Verstand mit dem Rhythmus zu betäuben, und trottete verbissen weiter, doch die Visionen schenkten ihm keine Ruhe. Sie waren so lebendig und lebensecht, dass er sie fast zu riechen glaubte. Mit aller Kraft konzentrierte er sich auf den Rhythmus, um sie aus seinen Gedanken zu verdrängen, und nach einer Weile begannen sie zu verblassen.
    Will verwünschte den Tag, an dem er beschlossen hatte, den Grubenzug zu besteigen und hinunter in die Tiefen zu fahren. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Jetzt irrte er hier herum, wo er doch nach Übergrund hätte gehen können. Was wäre denn das Schlimmste gewesen, das ihm an der Erdoberfläche gedroht hätte? Dass er den Rest seiner Tage auf der Flucht

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