Tunnel - 02 - Abgrund
Gerechten zurückkehrt, und die Rechtschaffenen werden ihr folgen.«
Sarah erkannte, dass es sich bei den Objekten um zwei kleine Phiolen handelte, die eine klare Flüssigkeit enthielten und deren Deckel mit Wachs versiegelt war. An den Fläschchen befanden sich zwei dünne Kordeln, sodass Rebecca sie von ihren Händen herabbaumeln lassen konnte.
»Irgendetwas Wichtiges?«, fragte Sarah.
Rebecca schien entrückt; in ihren Augen spiegelte sich eine Art träumerische Euphorie, während sie die Phiolen betrachtete.
»Hat das vielleicht irgendetwas mit diesem Ultra-Bazillus zu tun, von dem in der Zeitung die Rede war?«, versuchte Sarah nachzuhaken.
Der Hauch eines Lächelns umspielte die Lippen des Styx-Mädchens. »Möglicherweise«, neckte sie. »Unsere Gebete werden bald erhört werden.«
»Dann wollt ihr also noch einen Bazillus gegen die Übergrundler einsetzen?«
»Nicht einfach irgendeinen Bazillus. Der Ultra-Bazillus, wie die Übergrundler ihn nennen, war für uns nur eine Lockerungsübung. Doch das hier …«, sie schüttelte die Phiolen, »das ist das einzig Wahre, wie man so sagt.« Rebecca strahlte. »Der Herr gibt … und der Herr gibt noch mehr.«
Bevor Sarah darauf antworten konnte, machte das Styx-Mädchen auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.
Sarah wusste nicht, was sie von der ganzen Geschichte halten sollte. Sie hatte die Übergrundler zwar nicht gerade ins Herz geschlossen, aber es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft, um zu erahnen, dass die Styx etwas Schreckliches für sie zusammengebraut hatten. Und sie würden nicht lange zögern, Tod und Verderben zu verbreiten, solange sie damit ihre Ziele erreichten. Doch Sarah hatte nicht vor, sich dadurch von ihren eigenen Plänen abbringen zu lassen. Für sie gab es nur eine Aufgabe, und die bestand darin, Will aufzuspüren. Sie würde herausfinden, ob er die Schuld an Tams Tod trug. Das war eine Familienangelegenheit, und sie konnte nicht zulassen, dass sich irgendetwas diesem Ziel in den Weg stellte.
»Wir brechen auf. Vorwärts, marsch!«, schnauzte einer der Grenzer Sarah von hinten an, sodass sie erschrocken zusammenfuhr. Es war das erste Mal, dass einer der Männer sie direkt angesprochen hatte.
»Äh … haben … haben Sie wir gesagt?«, stammelte Sarah und wich einen Schritt zurück. Dabei hörte sie plötzlich ein Rascheln an ihren Füßen und schaute nach unten.
»Bartleby!«, stieß sie erfreut hervor.
Der Kater war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Er zuckte mit den Schnurrhaaren und stieß ein leises, verunsichertes Miauen aus; dann senkte er das Maul bis auf den Boden und schnupperte mehrmals. Schließlich hob er den Kopf ruckartig. Seine Nase war mit dem feinen schwarzen Staub bedeckt, der hier überall zu liegen schien und der ihm ganz offensichtlich überhaupt nicht gefiel. Denn er rieb sich das Gesicht mit der Pfote und schniefte laut. Plötzlich stieß er ein gewaltiges Niesen aus.
»Gesundheit«, sagte Sarah, ehe sie sich bremsen konnte. Sie war so froh, den Kater wiederzuhaben. Es schien ihr, als hätte sie nun einen alten Freund an ihrer Seite – jemanden, dem sie vertrauen konnte.
»Na los! Abmarsch!«, knurrte ein anderer Grenzer und zeigte mit seinem dünnen Finger auf den weiter entfernten Bereich der Höhle hinter der Lokomotive, die üppige Dampfwolken ausstieß.
Sarah zögerte einen Moment; die toten Augen aller vier Grenzer waren auf sie gerichtet. Dann nickte sie und machte einen widerstrebenden Schritt in die Richtung, die die Soldaten angedeutet hatten. Na ja, was hast du erwartet … Wer seine Seele dem Teufel verkauft … dachte sie. Sie hatte sich für diesen Weg entschieden, und nun würde sie ihn auch weitergehen.
Also fügte Sarah sich in ihr Schicksal und marschierte zügig los, den Kater zu ihren Füßen und dicht gefolgt von den schemenhaften Gestalten der Grenzer.
Außerdem: Welche Alternative hätte sie gehabt, bei diesen Ungeheuern, die ihr praktisch im Nacken saßen?
30
Die Stunden vergingen, Wills Stirn und Rücken klebten vor Schweiß – wegen der Hitze um ihn herum, aber auch aufgrund der unaufhörlichen Wogen von Angst, die er mit aller Macht zu bekämpfen versuchte. Seine Kehle war wie ausgetrocknet; er konnte den Staub auf seiner Zunge spüren, hatte aber nicht genügend Speichel, um sie zu benetzen.
Das Schwindelgefühl kehrte zurück, und er war gezwungen innezuhalten, weil der Boden unter seinen Füßen zu schwanken schien. Erschöpft ließ er sich gegen die Tunnelwand
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