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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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allmählich zu jenen Zukunftsoptionen, die ihm am meisten zusagten.
     
    »Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Sohn.«
    »Mehr als vier Standardjahre, Herr.« Und wieder verbeugte sich Turil respektvoll vor einem Älteren.
    Pschoim blieb in seinem Arbeitskubus sitzen, umschwirrt von virtuellen Ordnern, die ihm Dinge zuflüsterten. Auf Turil wirkten sie wie Vögelchen, die in unterschiedlichen Tonlagen zwitscherten und ihn zu rascher Arbeit antrieben. Sein Vater wirkte gealtert. Die charakteristischen Hautlappen auf seiner Stirn waren breiter und dicker geworden; sie hingen ihm schon fast über die Augen.

    »Du bereitest mir wieder einmal Scherereien«, sagte Pschoim. »Die GELFAR hat schreckliche Dinge über dich berichtet.«
    Es war so weit. Es galt.
    Turil hieb unvermittelt gegen den Kurzschlussschalter, den er bereits so oft betätigt hatte. Der Zeremonienmantel reagierte nicht. Er ließ sich nicht abschalten. Jetzt nicht mehr, nicht in dieser für ihn prekären Situation.
    »Die GELFAR …«, rief er und ignorierte den beginnenden Schmerz in seiner Brust, sollte sie ihn doch töten! »Die GELFAR lügt!«
    Pschoim stand auf, wurde wieder zu jener beeindruckenden Gestalt, die er früher einmal gewesen war und vor der sich Turil so sehr gefürchtet hatte.
    »Sie will mich … ganz unter ihre … Kontrolle bringen!«, würgte Turil hervor, bevor er zu Boden fiel, fast ohnmächtig vor Schmerz, den der Mantelkragen auf seinen Hals ausübte. Er wälzte sich umher, versuchte vergeblich, die Finger zwischen das speckige Leder und seine Haut zu schieben, lechzte nach Luft.
    Du kannst mich nicht töten!, dachte er so deutlich wie möglich. Man würde meinen Fall untersuchen und würde dir auf die Schliche kommen. Ein weiteres Mal bemühte er sich, dieses seltsame Zornpotenzial abzurufen, das in ihm verborgen war. Doch es verbarg sich, irgendwo in seinem Unterbewusstsein, wollte nicht zum Vorschein kommen.
    Du bist nicht stark genug, den Tod zu ertragen!, vermittelte ihm der Zeremonienmantel mit enormer gedanklicher Wucht. Ich werde dich stundenlang malträtieren, werde dich zum Winseln und Betteln bringen, werde dir deine Glieder einzeln ausreißen. Ich werde dein bisschen Verstand an den Rand des Wahnsinns treiben und darüber hinaus …

    Turil wollte klein beigeben; er ertrug diese Melange aus Demütigungen und Schmerz nicht mehr länger. Er war bereit zu tun, was der Mantel und die GELFAR von ihm verlangten, wollte, dass es aufhörte, wollte nur noch Ruhe haben. Er bat in Gedanken um Gnade, um Erlösung - doch es war zu spät. Er versank in endloser Schwärze.
     
    Zeit verging. Er trieb immer wieder an den Rand des Bewusstseins, um in Schmerzwehen zu baden, deren Wirkung so intensiv, so alles durchdringend war, dass Turil meinte, seinen Verstand zu verlieren. Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war. Er schrie und schrie und schrie und …
    … wachte auf.
    Seine Sicht klärte sich. Er lag in einem Zimmer der Krankenstation von Friedenshof Grau. Mühselig richtete er sich von seiner harten Liege auf.
    »Du bist gestorben«, erreichte ihn die Stimme seines Vaters wie durch einen Nebel. Er saß neben ihm, mit hochgeklappten Augenlappen. »Du warst mindestens zwei Stunden lang klinisch tot. Nach allen Gesetzen der Logik dürftest du nicht mehr leben.«
    Turil trank das Wasser, das ihm Pschoim reichte. Erst jetzt bemerkte er, dass sich eine weitere Gestalt hinter Pschoims Rücken zu verbergen versuchte. Er nickte Kakari zu, die ihn teilnahmslos anstarrte und gar nicht zu erkennen schien. Sie stand unter Drogen. Wie immer.
    »Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen«, murmelte Pschoim.
    »Wie bitte?«
    Sein Vater machte eine unwirsche Handbewegung. »Das tut jetzt nichts zur Sache. Sprechen wir lieber über die GELFAR.«

    Turil sah an sich hinab. Er trug ein langes Leinenhemd, jegliches Stück Ausrüstung war ihm genommen worden. In seinem Körper steckten Dutzende Röhrchen, Sonden, Steuergeräte. Der Zeremonienmantel schwebte in einem Stasisfeld, wenige Meter neben seinem Krankenbett. Unzählige Robotdrohnen umwuselten das Feld. Beständig schleppten sie neue mikrominiaturisierte Gerätschaften herbei, mit deren Hilfe sie dem wild wütenden Mantel beizukommen versuchten.
    »Die GELFAR wollte mich töten«, sagte Turil leise, »und ich vermute, dass sie noch immer dazu in der Lage ist.« Ein neuerlicher Schmerzanfall warf ihn zurück, seine Muskeln verkrampften; er erging sich in spastischen

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