Turils Reise
informierten, teilten ihm mit, dass er derzeit durch seine Gehörgänge sprach. Eine mechanische Pumpe ventilierte und kanalisierte den Überdruck, den die Schmerzbilder seines neuronalen Bewusstseins ausstrahlten. Sie drückte Sauerstoff von den Lungen durch die Luftröhre, durch hastig verlegte Bypässe, die in den beiden Ohrschnecken endeten, und erzeugten derart ein doppelseitiges Fauchen, das
einem Schrei ähnelte. Das provisorische Hilfssystem verschaffte Turil tatsächlich Erleichterung.
Tagtäglich wurde er umstrukturiert, der zerschundene Körper zu weiteren Improvisationen gezwungen. Der Schwellkörper seines Penis diente eine Weile als Substitut für die Nieren, Reste des Rückenmarks mussten als Gleitmittel für verwachsene Gelenkverbindungen herhalten, ein aus dem Zerebralbereich abgetrenntes Nervengeflecht half, das Wachstum seiner Epidermis zu beschleunigen.
Turil verstand es nicht, so oft man es ihm auch erläuterte. Warum waren seine Körperteile fast beliebig gegeneinander austauschbar? Warum konnten Leber und Bauchspeicheldrüse dieselben Funktionen erfüllen? Letztendlich kümmerte es ihn nicht. Er fühlte Schmerz, unendlichen, unerträglichen Schmerz, und er schrie ihn durch seine beiden Ohrmuscheln in die Nährflüssigkeit hinaus. Bis die beiden Hilfsausgänge verstopft wurden, er in eine tiefe Panik abzudriften drohte - und plötzlich feststellte, dass er wieder eine richtige Stimme besaß.
»Du hast Besuch«, teilte ihm Pschoim mit.
»Wie lange liege ich schon in diesem Tank?«, fragte Turil, ohne auf die Worte seines Vaters einzugehen.
»Zwanzig Einheitstage.«
»Wann darf ich ihn verlassen?«
»Sobald das letzte Überbleibsel der GELFAR aus dir geschwemmt wurde.« Pschoim zögerte. (Turil nahm mit Genugtuung zur Kenntnis, dass er zeitliche Abläufe endlich wieder verstandesgemäß einordnen konnte.) »Die biosystem-immanenten Programme, die die GELFAR in dir verankerte, rekonstruieren sich immer wieder aufs Neue. Die Neuronalviren sind ganz besonders hartnäckig.«
»Wie lange noch?«
(Zögern.) »Zehn Tage oder mehr.« (Eine weitere Pause. Möglicherweise dauerte sie mehrere Stunden, während derer er »abgeschaltet« blieb.) »Dein Besuch wird bis zu deiner vollständigen Wiederherstellung warten.«
»Wer ist gekommen, warum will man mich sprechen?« (Während er Assoziationsketten bereits wieder problemlos folgen konnte, fiel ihm der Sprung von einem Themenkomplex zum nächsten ungeheuer schwer.)
»Sie nennen sich Sorollo und Ofenau, und sie sind im Auftrag ARMIDORNs unterwegs. Sie fordern eine Entscheidung von dir.«
»Eine Entscheidung?«
(Neuerliches Zögern.) »Du musst zwischen zwei Übeln wählen. Beide garantieren dir den Tod - oder Schlimmeres.«
19 - DER LÖSUNG NAHE ?
»Das ist kein Lebewesen mehr«, konstatierte Sorollo voll Abscheu, »das ist ein undefinierbarer Fleischklumpen.« Sie wandte sich vom Tank ab und verließ den Klinikraum.
Turil war nicht einmal mehr in Ansätzen als das Wesen zu erkennen, das er früher einmal gewesen war. Es war ihr unbegreiflich, was den Totengräber noch am Leben erhielt. In ihm musste eine Quelle unergründlicher Willenskraft sprudeln. Aufzeichnungen, die Turils enzephale Tätigkeiten dokumentierten, bewiesen, dass er seit dem Beginn seiner Behandlung unter Schmerzwehen litt, die jenseits dessen lagen, was Lebewesen ertragen konnten. Selbst die Leidensfähigkeit eines planetaren Wesens wie der Gänzlichkeit von Lum wäre an dem gescheitert, was Turil über sich ergehen lassen musste.
Ofenau trippelte gehorsam hinter ihr her, während der ältere Totengräber namens Pschoim erst nach einer Weile folgte. Gemäß ihren Aufzeichnungen war er der leibliche Vater dieses lebenden Leichnams; doch er verhielt sich ähnlich unterkühlt wie alle Mitglieder seines Volkes.
»Er kommt wieder in Ordnung«, sagte der Thanatologe, »ich weiß es.« Lag da der Hauch von Bekümmertheit in seiner Stimme?
»Warum bist du dir so sicher?«, fragte Sorollo.
»Er hat diese Prozedur bereits einmal durchgemacht. Während seiner Kindheit.«
»Wie bitte?!«
»Alles Weitere erkläre ich euch, sobald Turil wieder auf den Beinen ist.« Pschoim wandte sich ab und ging mit schweren Schritten und grußlos davon.
Die Thanatologen wirkten so … ungeschlechtlich, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, dass sie sich fortpflanzten. Auch besaß Sorollo keinerlei Informationen über die Frauen dieses seltsamen Volkes. Offenbar wurden sie gut
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