Turils Reise
kaum.
»Vielleicht war dieser Queresma dazu ausersehen, eines Tages über die Kitar zu regieren, sobald ihr alter Herrscher das Zeitliche segnete? Was wissen wir schon über die Wege des Schicksals und über die Rituale, die fremde Völker ausüben? Selbst wir, die wir den Tod in unzähligen Facetten kennen und wertschätzen, haben seine Geheimnisse und jene seines Pendants, der Lebenswerdung, nie entschlüsselt. Wir wissen nicht, was eine Seele ist, ob sie denn tatsächlich einen Gehalt besitzt oder bloß eine Erfindung ängstlicher Geister darstellt …«
»HÖR AUF!«, brüllte Turil und presste beide Hände gegen die Ohren. »Ich will es nicht hören, ich …«
Seine Arme fielen kraftlos herab. Nicht aus Schwäche. Es war die Erkenntnis, um sein Leben betrogen worden zu sein und etwas darzustellen, das gar nicht sein durfte.
»Als ich diesen Queresma in den Armen hielt«, fuhr Pschoim unerbittlich fort, »den ich verpflichtet war vor allen Gefahren dieses Universums zu beschützen, beschloss ich, das Beste aus Kakaris und meiner Situation zu machen. Ich ließ Queresma in eine Form gießen. Bei diesem meinem Vorhaben nutzte ich alle Forschungserkenntnisse und Techniken, die uns Thanatologen zur Verfügung standen; manche von ihnen wurden im Zuge des … Fertigungsprozesses erstmals angewandt. Queresma wurde in einem Vorgang, der allen Beteiligten das Äußerste abverlangte, in einen Totengräber umgewandelt. Es galt, völlige Geheimhaltung zu wahren. Nur die wenigsten Angehörigen meines Volkes erfuhren, was auf einer unbedeutenden Welt namens Habercain vor sich ging. Es dauerte zwei Standardjahre, bis die letzten Arbeiten abgeschlossen waren und wir
Queresma jenes Aussehen verpasst hatten, das es heute noch trägt. Kakari und mir wurde ein Kind geschenkt, und wir gaben ihm den Namen Turil.«
Turil. Queresma.
Queresma. Turil.
Er saß da, unfähig sich zu bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Nur ganz langsam erwachte er aus seiner geistigen wie körperlichen Starre. Doch wie sollte er ver-ste-hen, was Pschoim ihm erzählt hatte?
Er betrachtete Sorollo und Ofenau. Spiegelte sich in ihren Blicken das Entsetzen wider, das auch er empfand? Nein. Sie sahen ihn abwechselnd nachdenklich, ratlos, schadenfroh, nüchtern oder voller Ekel an. Ihre Sparten wechselten in einem unbeständigen Rhythmus, sie fanden zu keiner einhelligen Meinung.
»Ich bin ein Kitar«, murmelte Turil, »ich bin ein Kitar.«
»Du bist Queresma«, korrigierte ihn Pschoim, dem es sichtlich schwerfiel, die Unterhaltung fortzusetzen. »Trotz endloser Analysen haben wir niemals herausgefunden, wer oder was du eigentlich bist.«
»Was machte diesen Queresma denn aus?«, fragte Turil, als ginge es nicht um ihn, sondern um einen Fremden. »Woraus bestand er, als er dir übergeben wurde?«
»Aus einem Gehirn. Aus winzigen Knochenplättchen, einem faustgroßen Fleischklumpen und einem Nervengeflecht, das golden flimmerte, als strahlte es beständig Energie ab. Deine DNA war mit keiner eines uns bekannten Lebewesens vergleichbar. Die Erbsubstanzen wirkten nicht überlebens-oder reproduktionsfähig; doch kaum setzten wir dich in eine Nährflüssigkeit, blühtest du auf.« Pschoims Hände schlossen und öffneten sich. Immer wieder. »Der
Fleischklumpen begann zu wachsen, ebenso die Knorpel und die Knochenplättchen. Das Nervengeflecht grub sich im Zuchtfleisch fest und begann es willentlich zu steuern. Es war, als würdest du der Notwendigkeit entsprechend beginnen, einen Körper auszubilden. Uns oblag es nur noch, dich so zu gestalten, dass du wie einer von uns aussahst.«
Die permanenten Schmerzen im Rückenbereich und in den Gelenken; sie mussten mit dieser Umformung zu tun haben. »Ihr habt mich für eure Zwecke missbraucht. Als Sohn, den ihr nie hattet.«
»Der Kitar erlaubte es uns. Er verlangte sogar, dass ich dich fordern und formen sollte. Bis zu dem Zeitpunkt, da man dich zurückholen würde.«
»Was allem Anschein nach jetzt der Fall ist. Die Kitar verwüsten den Kahlsack, weil sie mich suchen. Ist es nicht so?«
»Wir gehen davon aus«, bestätigte Pschoim.
»Was geschah mit diesem Szeptinat, mit dessen Hilfe ihr dieses … andere rufen solltet?«
»Ich versuchte es zu zerstören, und als dies nicht gelang, ließ ich es auf Habercain zurück.«
»Ich verstehe«, sagte Turil leise. »Du wolltest den Auftrag des Kitar niemals wirklich befolgen. Du wolltest Queresma - mich - besitzen und niemals wieder hergeben.
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