Turils Reise
Strukturen und Motivationen kund. In Listen waren all die Überfälle, Begegnungen, Schlachten, Kaperungen und Fundorte von Kitar und deren Technik penibel aufgeführt, selbst die Orte, an denen drei der mörderischen Wesen gefangen gesetzt werden konnten … Turil arbeitete sich mit
scheinbarer Langeweile durch das verfügbare Material und machte sich Notizen für den Endbericht über Domiendram.
Hoffentlich achtete die GELFAR nicht allzu sehr auf seine Körperwerte, hoffentlich interpretierte sie seine Aufgeräumtheit falsch. Er gab vor, müde und erschöpft zu sein; tatsächlich war seine Anspannung so groß wie selten zuvor. Die Kitar bestimmten seit geraumer Zeit sein Leben mit. In gewisser Weise hatten sie ihn zu dem gemacht, was er heute war: zu einem Außenseiter in einem Volk von Außenseitern.
Es wurde Zeit, dass Turil mehr über die Kitar in Erfahrung brachte. Die Gelegenheit war günstig wie niemals zuvor.
Pramain der Götzliche hatte seine Wurzeln aus dem ihn umgebenden Boden gezogen. Sie ragten steil in die Höhe. Manche von ihnen wirkten wie abgestorben, andere waren in Nährstoffbeutel gepackt. Verweigerte der ehemalige domiendramische Herrscher etwa die Nahrungsaufnahme?
»Er ist nicht bereit, selbsttätig zu funktionieren«, bestätigte ihm eine fliegende Med-Hexe. Sie setzte sich auf Turils rechte Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Wir könnten sein Baumgehirn zerschnipseln und nachsehen, was bei ihm falsch läuft.«
»Nein.« Turil schüttelte die Med-Hexe ab und wandte sich Pramain zu: »Du kannst mich verstehen?«, sagte er, so deutlich wie möglich.
»Ja.«
»Du weißt, wo du dich befindest?«
»An Bord deines Schiffes.« Die Stimme klang interesselos, lethargisch.
»Du kennst die Umstände, unter denen ich dich hierherschaffen musste? Du verstehst meine Notlage?«
»Verstehen?« Pramain schaffte es, ein bitteres, annähernd wie ein Lachen klingendes Geräusch von sich zu geben. »Ich akzeptiere die Tatsache, dass mein Volk nichts mehr mit mir zu tun haben will und mich verbannt hat. Aber ich verstehe gar nichts.«
»Dann geht es dir ähnlich wie mir.« Turil beschloss, es mit Offenheit und Direktheit zu versuchen. So, wie es ihm Shmau Pendrix empfohlen hatte. »Ich wollte dich nicht an Bord haben. Die GELFAR ist meine Welt. Der einzige Ort, den ich mein Zuhause nennen darf. Du bist ein Eindringling, und ich mag dich nicht.«
Pramain schwieg. Turil gab einer Med-Hexe den Befehl, den Leib des Baumwesens aufzurichten. So, dass er ihm in das verholzte Gesicht blicken konnte.
»Wir müssen wohl oder übel miteinander auskommen«, fuhr der Totengräber fort. »So lange, bis ich einen Ausweg aus unserem gemeinsamen Dilemma finde.«
»Ich wollte nicht sterben«, lamentierte Pramain der Götzliche. »Doch jetzt bin ich weg von Domiendram. Alles hier fühlt sich so fremd, so fremdartig an. Die Erde, die mir deine Med-Hexen unter die Wurzelbeine schütten, stinkt und schmeckt faulig. Die Luft ist verpestet von klinischer, von irrwitziger Sauberkeit. Nicht das kleinste Keimchen fühle ich, keine Krabbelinsekten, keine Wasseradern. Die Schwerkraft ist falsch, und sie schwankt. Die Kraft von tausenden Sonnen, kleinen, blassen Fleckchen, weit entfernt, zehrt an mir, bestrahlt mich mit minimalem Punktfeuer. Manchmal ist mir zu feucht, dann zu trocken. Und ständig wollen sich irgendwelche Helfer mit mir unterhalten, meine Psyche erforschen. Sie wecken mich aus tiefem Schlaf, faseln unsinniges Zeugs von Lebensmut, von strahlender Zukunft, von dem Glück, das ich gehabt hätte.« Die Astarme
des Domiendramers bewegten sich leise knirschend. »Ich würde sie erdrosseln, wenn ich nicht an all diese Apparate angeschlossen wäre.«
»Du könntest ihnen nichts antun, denn sie sind Virtualbilder; wie so vieles an Bord meines Schiffs. Aber ich habe Licht und Schatten angewiesen, dich in Ruhe zu lassen.«
»Damit du an ihre Stelle trittst?« Pramain fuhr hoch, ließ eine seiner längsten und breitesten Wurzeln in Turils Richtung peitschen. »Damit du mich quälen und dich an meinem Leid ergötzen kannst? Ich möchte tot sein, begraben in schwarzer, humusreicher Erde!« Er bäumte sich auf, kämpfte mit aller Kraft gegen die Flexbänder an, die ihn an sein Lager fesselten, gleichzeitig seine Biowerte kontrollierten und steuerten. Der Götzliche begann zu toben; aus seiner Mundhöhle drang grünlicher Speichel, triefte an den borkigen Hautrillen entlang über Kinn und Hals hinab.
»Beruhigt
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