Turils Reise
Gegenstand eines reichhaltigen Dossiers der Totengräber.
»Ich weiß es wirklich nicht, Herr. Er hat mir aufgetragen, hier auf weitere Anweisungen zu warten und die Anlagen in Schuss zu halten.«
Turil hatte sich einen ungefähren Überblick über die Kavernen verschafft. Natürliche Höhlenräume waren mit Hilfe einer primitiven Spritzgusstechnik stabilisiert und an manchen Stellen künstlich erweitert worden. Außer technischem Gerümpel und Ersatzteilen, die zur Aufrechterhaltung der Wächtersysteme dienten, waren die Hallen leer. Kein Zweifel: Atarakt sollte irgendwann als Lager dienen. Für Waren, die aus Zeit-oder Geldmangel noch nicht angeliefert worden waren - oder noch gar nicht existierten.
»Es befinden sich Gefangene hier«, sagte Turil mit Bestimmtheit. Er musste aufs Wesentliche kommen. »Ich habe nicht die Zeit, um nach ihnen zu suchen. Sag mir, wo ich sie finde.«
»Du irrst dich. Es gibt keine …«
Neuerlich fuhr der Thanatologe mit dem Messer über die Chromplatte, und das Knollengewächs bäumte sich auf. »Ist dir deine Existenz denn nichts wert? Wo finde ich die Gefangenen?«
»Es sind nur drei! Drei nutzlose Geschöpfe, die mehr tot als lebendig sind!«, kreischte der Wächter. Seine Körperfäden zitterten, Teile des zentralen Knollenkörpers platzten auf und boten Einblick auf ein von Lamellen durchzogenes Innengewächs. War der Wächter etwa ein gentechnisch veränderter Oroptiker? Turil verfolgte den Gedanken nicht weiter. Diese Informationen besaßen kaum Bedeutung für ihn.
»Du führst mich zu den Gefangenen.«
»Ich kann nicht. Ich … nein warte, nicht über meine Platte kratzen! … Ich werde dich hinbringen. Gib mir ein wenig Zeit.«
»Du solltest dich beeilen. Du hast meine Geduld bereits über alle Gebühr strapaziert.«
Das Knollenwesen rieb ein gutes Dutzend seiner Fäden aneinander. Ein sirenenähnlicher Ton entstand. Aus einem dünnen Spalt oberhalb der Leiste zwischen dem Boden und der Wand des Raums schlängelten sich Nesselarme hervor. Die Arme eines … nein, mehrerer Oroptiker. Die Pilzgeschöpfe zwängten ihre kleinen Körper durch die Spalte und krochen auf den Wächter zu. Um Turil machten sie einen großen Bogen.
»Sie sind meine Kinder«, ächzte das Knollenwesen. »Sie werden mich tragen.«
»Kinder?«
»Ich zeugte sie, bevor Kix Karambui mich zum Wächter über Atarakt machte und an die Lebenswand pinnte. Sie sind alles, was mir von meinem früheren Leben geblieben ist.«
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte Turil.
»Ich bin … war Dirdar.«
Die kleingewachsenen Oroptiker waren heran. Sie schoben
ihre Arme verlangend über die fein gemaserten Podien ihres Vaters, als wollten sie ihm ihre Liebe zeigen oder ihm Mut zusprechen. Die Kinder hatten Scheu davor, die Chromplatte zu berühren, taten es aber schließlich doch. Turil vermutete, dass die insgesamt sieben Geschöpfe im Stillen miteinander kommunizierten.
»Du musst verzeihen«, sagte Dirdar nach einer Weile. »Meine Nachkömmlinge haben niemals zu reden gelernt. Kix Karambui nahm mich ihnen fort, bevor ich sie ausbilden konnte. Seit vielen Jahrzehnten sind sie auf dem geistigen Niveau von Kleinkindern verharrt; in ihrer körperlichen Entwicklung hingegen …« Er berührte jedes seiner Kinder einzeln. Sie umtänzelten ihn, verbanden ihre Arme zu einem Geflecht, einem Spinnennetz nicht unähnlich, und hoben die Chromplatte schließlich mit einem einzigen Ruck aus der Fassung. Das Gebilde fiel um, stürzte schwer auf die Pilzwesen. Sie fingen es mit Hilfe ihrer Nesselbeinchen auf und ertrugen die Last, ohne zu klagen. Nur noch ihre Glieder ragten unter der Platte hervor. Die Kinder stellten sich ihrem Vater als Gehwerkzeuge zur Verfügung, während sie selbst riskierten, von ihm zerquetscht zu werden.
»Folge uns«, sagte Dirdar. »Es ist nicht weit.« Jenes Tor, durch das Turil in die Zentrale Atarakts vorgedrungen war, öffnete sich.
Turil schüttelte den Kopf. Je länger er dieses armselige Geschöpf und seine erbarmungswürdigen Kinder beobachtete, desto unwohler fühlte er sich. Dirdar war ein Zeuge seiner Taten. Er konnte ihn unmöglich am Leben lassen.
Dirdars Nachkommen schleppten ihren Vater einen steil in die Tiefe führenden Gang hinab. Immer wieder schabten sie mit den Rändern der Chromplatte über spritzgussverhärtete Wände. Dirdar brüllte dann vor Schmerz, und
mehr als einmal sah es so aus, als wollte er sich von seinem seltsamen Symbiosepartner lösen.
»Ich kann Ta
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