Turm der Hexer
Idiot! Beweg dich!«
Sorgsam, mit fast bedächtiger Ruhe, reichte Prinzessin Ce’Nedra ihrer verschreckten Zofe den gläsernen Zaunkönig. »Bring das an einen sicheren Ort«, sagte sie. Dann ging sie zurück in das Zentrum des Sturms. »Was hast du gerade gesagt?« fragte sie Polgara ruhig.
»Mein närrischer Vater, Garion und dieser elende Dieb haben gestern nacht beschlossen, ihre eigenen Wege zu gehen«, antwortete Polgara mit eisiger Stimme, die durch die übermenschliche Kontrolle, durch die sie gebändigt wurde, nur noch schrecklicher wirkte.
»Sie haben was?« fragte Ce’Nedra verständnislos.
»Sie sind weg. Haben sich in der Nacht davongemacht.«
»Dann mußt du ihnen nachreisen.«
»Das kann ich nicht, Ce’Nedra.« Polgara sprach, als ob sie einem kleinen Kind etwas erklären müßte. »Jemand muß hierbleiben. Zu viele Dinge könnten hier schiefgehen. Er weiß das. Er hat das absichtlich getan. Er hat mich hier festgenagelt.«
»Garion?«
»Nein, du dummes Gör! Mein Vater!« Wieder begann Polgara, Verwünschungen auszustoßen, die sie mit Donnerschlägen begleitete.
Ce’Nedra hörte sie jedoch kaum. Sie sah sich um. Hier war wirklich nichts mehr, was man zerschlagen konnte. »Du entschuldigst mich hoffentlich«, sagte sie. Dann ging sie in ihr eigenes Zimmer und zerbrach alles, was ihr unter die Finger kam, wobei sie die ganze Zeit kreischte wie ein Fischweib aus Camaar.
Ihre beiden Wutanfälle dauerten einige Stunden, und in dieser Zeit mieden sie sich. Einige Gefühle muß man teilen, aber irrsinnige Wut gehört nicht dazu. Schließlich hatte sich Ce’Nedras Ausbruch erschöpft, und sie zwang sich zu der eisigen Ruhe einer tödlich Beleidigten. Gleichgültig, welchen Anstrich sein ungebildeter Brief der Sache auch geben mochte, es würde höchstens eine Woche dauern, bis alle Welt wußte, daß Garion sie hatte sitzenlassen. Die Flucht ihres widerspenstigen Bräutigams würde zum weltweiten Gespött werden. Es war einfach unerträglich!
Aber sie würde sich der Welt mit erhobenem Kinn und herrischem Blick stellen. Wie sehr sie auch tobte und weinte und wütete, wenn sie allein war, das Gesicht, das sie der Welt präsentierte, würde keine Spuren davon zeigen, wie tief sie gekränkt worden war. Das einzige, was ihr noch geblieben war, war der Stolz, und den würde sie niemals aufgeben.
Die Dame Polgara jedoch schien nicht das Bedürfnis nach solch kaiserlicher Zurückhaltung zu verspüren. Sobald sich ihre Wut soweit gelegt hatte, daß sie ihr privates Unwetter wieder abziehen ließ, vermuteten ein paar tapfere Seelen, daß das Schlimmste vorüber war. Der Graf von Trellheim ging zu ihr in dem Bemühen, sie zu besänftigen. Augenblicke später verließ er überstürzt ihre Wohnung, verfolgt von wüsten Beschimpfungen, die ihm die Ohren klingeln ließen. Barak war bleich und erschüttert, als er den anderen Bericht erstattete. »Wagt euch nicht in ihre Nähe«, warnte er entsetzt. »Tut bloß alles, was sie will, und bleibt ihr aus den Augen.«
»Wird sie gar nicht ruhiger?« fragte König Rhodar.
»Sie ist mit den Möbeln fertig«, antwortete Barak. »Ich glaube, jetzt macht sie sich bereit, mit Menschen anzufangen.«
Danach verbreitete sich jedesmal blitzartig die Warnung, wenn Polgara aus ihren Zimmern trat, und die Flure von Eisenfausts Zitadelle leerten sich. Ihre Befehle, die meist von ihrer Zofe überbracht wurden, waren stets Abwandlungen des ursprünglichen Befehls, den sie Anheg gegeben hatte. Das flüchtige Trio sollte eingefangen und zu ihr zurückgebracht werden.
In den folgenden Tagen verwandelte sich Prinzessin Ce’Nedras anfängliche Wut in eine Verdrießlichkeit, die dazu führte, daß sie fast genauso gemieden wurde wie Polgara nur die sanfte Adara ertrug die Ausbrüche des kleinen Mädchens mit stiller Geduld. Die beiden verbrachten die meiste Zeit in dem Garten hinter den königlichen Gemächern, wo Ce’Nedra ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß man sie hörte.
Garion und die anderen waren bereits seit fünf Tagen fort, als Ce’Nedra endlich die Folgen ihrer Abreise begriff.
Es war ein warmer Tag der Frühling hielt schließlich selbst an einem so düsteren Ort wie Riva Einzug –, und der Rasen in der Mitte des Gartens war saftig grün. Rosa, blaue und flammendrote Blumen nickten in ihren Beeten mit den Köpfchen, wenn gelbe Bienen unermüdlich Küsse von Blüte zu Blüte trugen. Aber Ce’Nedra wollte nicht an Küsse
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