Turm der Hexer
fünfzig Schwerter im Sonnenschein, die zum Gruß und zum Eid erhoben wurden, und fünfzig Stimmen wiederholten den Ruf: »Ich folge dir!«
Mit einer ausholenden Bewegung zog Ce’Nedra ihr eigenes Schwert und erhob es. »Dann folgt mir!« sang sie. »Wir ziehen den grausamen Horden der Angarakaner entgegen. Die Welt soll vor uns erzittern!« Mit drei raschen Schritten erreichte sie ihr Pferd und schwang sich in den Sattel. Sie wirbelte das tänzelnde Tier umher und galoppierte aus den Ruinen heraus, mit hocherhobenem Schwert und wehendem Haar. Die Asturier liefen wie ein Mann zu ihren Pferden, um ihr zu folgen.
Als sie in den Wald kam, warf die Prinzessin einen Blick zurück auf die tapferen jungen Männer, die mit begeisterten Mienen hinter ihr her galoppierten. Sie hatte gewonnen, aber wie viele dieser Asturier würde sie zurückbringen, wenn der Krieg vorbei war? Plötzlich füllten ihre Augen sich mit Tränen, doch sie wischte sie mit der Hand fort. Die Rivanische Königin ritt weiter und brachte die Asturier zu ihrer Armee.
26
D ie alornischen Könige lobten Ce’Nedra überschwenglich, und selbst verbissene Krieger betrachteten sie mit unverhohlener Bewunderung. Sie saugte ihre Schmeicheleien gierig in sich hinein und schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen. Nur Polgaras merkwürdiges Schweigen schmälerte ihren fast vollständigen Triumph. Ce’Nedra war gekränkt. Ihre Ansprache war vielleicht nicht perfekt gewesen, aber sie hatte Lelldorins Freunde restlos gewonnen, und der Erfolg machte kleinere Fehler doch sicherlich wert.
Dann, als Polgara an jenem Abend nach ihr schickte, glaubte Ce’Nedra zu verstehen. Die Zauberin wollte ihr allein gratulieren. Glücklich vor sich hinsummend, ging die Prinzessin über den Strand zu Polgaras Zelt, begleitet vom Plätschern der Wellen auf dem weißen Sand.
Polgara saß an ihrem Frisiertisch und war bis auf den schlafenden Botschaft allein. Das Kerzenlicht spielte weich über ihr tiefblaues Kleid und ihre vollkommenen Züge, während sie sich das lange dunkle Haar bürstete. »Komm herein, Ce’Nedra«, sagte sie. »Setz dich. Wir haben viel zu besprechen.«
»Warst du überrascht, Polgara?« Die Prinzessin konnte nicht länger an sich halten. »Das warst du doch, nicht wahr? Ich war selbst erstaunt.«
Polgara sah sie ernst an. »Du darfst dich nicht deinem Triumph überlassen, Ce’Nedra. Du mußt lernen, mit deinen Kräften hauszuhalten und sie nicht dadurch zu vergeuden, daß du in hysterischer Selbstbeweihräucherung herumläufst.«
Ce’Nedra starrte sie an. »Findest du nicht, daß ich es heute gut gemacht habe?« fragte sie, zutiefst verletzt.
»Es war eine nette Rede, Ce’Nedra«, sagte Polgara in einem Ton, der Ce’Nedra alle Freude daran nahm.
Ein seltsamer Gedanke durchzuckte die Prinzessin. »Du wußtest es die ganze Zeit, nicht wahr?« platzte sie heraus.
Ein belustigtes Lächeln umspielte Polgaras Lippen. »Du scheinst immer zu vergessen, daß ich gewisse Vorteile habe, Liebe«, antwortete sie, »und einer davon ist, daß ich eine allgemeine Vorstellung davon habe, wie die Dinge sich entwickeln werden.«
»Wie konntest du…«
»Bestimmte Ereignisse geschehen nicht einfach, Ce’Nedra. Einige Dinge in dieser Welt sind von dem Moment ihrer Erschaffung an festgelegt. Was heute geschehen ist, gehört dazu.« Sie nahm eine altersdunkle Pergamentrolle vom Tisch. »Möchtest du hören, was die Prophezeiung dazu sagt?«
Ce’Nedra wurde plötzlich kalt.
Polgara überflog das knisternde Pergament. »Hier ist es«, sagte sie und hob die Schriftrolle dem Kerzenlicht entgegen. »Und die Stimme der Braut des Lichts soll in allen Reichen der Welt gehört werden«, las sie, »und ihre Worte sollen sein wie Feuer in trockenem Gras, so daß die Völker des Westens sich erheben und sich unter den Strahlen ihres Banners sammeln.«
»Das bedeutet doch gar nichts, Polgara«, wandte Ce’Nedra ein. »Es ist doch nur Geschwätz.«
»Wird es klarer, wenn du erfährst, daß Garion das Kind des Lichts ist?«
»Was ist das?« fragte Ce’Nedra mit einem Blick auf das Pergament.
»Wo hast du das her?«
»Es ist der Mrin-Kodex, Kind. Mein Vater hat es für mich von dem Original kopiert. Es ist etwas verworren, weil der Mrin-Prophet so hoffnungslos verrückt war, daß er nicht zusammenhängend sprechen konnte. König Dras Stiernacken mußte ihn schließlich wie einen Hund an einen Pfahl ketten lassen.«
»König Dras? Polgara, das ist über dreitausend Jahre
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