Turm der Hexer
sie des öfteren eher wie die rein mechanische Wiederholung einer Reihe von Formeln. Wie Garion bemerkt hatte, versagten gelegentlich selbst diese Formeln, wenn Taibas tiefviolette Augen den Ulgoner betrachteten. Taiba für ihren Teil war ganz offensichtlich verwirrt. Relgs Zurückweisung ihres schlichten Dankes hatte sie gedemütigt, und ihre Empörung war heftig gewesen. Seine dauernde Beobachtung sprach zu ihr jedoch ganz anders als die Worte, die von seinen Lippen kamen. Seine Augen sagten ihr dies, sein Mund jenes. Er verblüffte sie, denn sie wußte nicht, ob sie auf seine Augen oder seine Worte reagieren sollte.
»Dann hast du also dein Leben lang im Dunkeln gelebt?« fragte Relg sie neugierig.
»Die meiste Zeit«, erwiderte sie. »Ich habe einmal das Gesicht meiner Mutter gesehen an dem Tag, als die Murgos kamen und sie für den Tempel holten. Danach war ich allein. Alleinsein ist das schlimmste daran. Wenn man nicht allein ist, kann man die Dunkelheit ertragen.«
»Wie alt warst du, als sie dir die Mutter weggenommen haben?«
»Ich weiß nicht genau. Ich muß schon fast eine Frau gewesen sein, denn nicht lange danach haben die Murgos mich einem Sklaven gegeben, der sie zufriedengestellt hatte. Es gab viele Sklaven dort unten, die alles taten, was die Murgos wollten, und sie wurden dann mit zusätzlicher Nahrung belohnt oder mit Frauen. Zuerst habe ich geweint, aber mit der Zeit lernte ich, es zu akzeptieren. Wenigstens war ich nicht mehr allein.«
Relgs Gesicht verhärtete sich, und Taiba nahm die Veränderung wahr. »Was hätte ich tun sollen?« fragte sie. »Wenn du Sklave bist, gehört dir dein Körper nicht. Sie können dich verkaufen oder dich jemandem schenken, wenn sie wollen, und du kannst nichts dagegen tun.«
»Es muß doch irgend etwas geben.«
»Was denn? Ich hatte keine Waffe, mit der ich hätte kämpfen oder mich töten können, und man kann sich nicht selbst erwürgen.« Sie sah Garion an. »Wußtest du das? Ein paar der Sklaven haben es versucht, aber man wird nur ohnmächtig, und dann fängt man an, wieder zu atmen. Ist das nicht merkwürdig?«
»Hast du versucht zu kämpfen?« Aus irgendeinem Grund schien es Relg sehr wichtig zu sein.
»Wo hätte der Sinn gelegen? Der Sklave, dem man mich gegeben hatte, war stärker als ich. Er hätte mich doch nur geschlagen, bis ich getan hätte, was er wollte.«
»Du hättest kämpfen müssen«, erklärte Relg eisern. »Ein wenig Schmerz ist besser als Sünde, und so aufzugeben ist Sünde.«
»Wirklich? Wenn jemand dich dazu zwingt, etwas zu tun, und es gibt keine Möglichkeit, es zu vermeiden, ist das wirklich Sünde?«
Relg wollte antworten, aber ihre Augen, die ihm direkt ins Gesicht blickten, schienen seine Zunge zu lähmen. Er zögerte, unfähig, diesem Blick standzuhalten. Abrupt wendete er sein Pferd und ritt zurück zu den Lasttieren.
»Warum kämpft er so sehr gegen sich selbst?« fragte Taiba. »Er hat Angst vor allem, das ihm etwas von dem nehmen könnte, das er seiner Ansicht nach UL schuldet.«
»Er hat sich völlig seinem Gott hingegeben«, erklärte Garion.
»Ist sein UL wirklich so eifersüchtig?«
»Nein, ich glaube nicht. Aber Relg glaubt das.«
Taiba schürzte die Lippen sinnlich und warf einen Blick über die Schulter zurück auf den Fanatiker. »Weißt du«, sagte sie, »ich glaube, er hat tatsächlich Angst vor mir.« Dann lachte sie jenes tiefe, boshafte kleine Lachen und fuhr sich mit den Fingern durch die Fülle ihres schwarzen Haars. »Niemand hat je Angst vor mir gehabt niemals. Ich glaube fast, es gefällt mir. Würdest du mich entschuldigen?« Sie machte, ohne eine Antwort abzuwarten, kehrt und ritt hinter dem flüchtenden Relg her.
Garion dachte darüber nach, während er weiter durch die enge, gewundene Klamm ritt. Er erkannte, daß in Taiba eine Stärke steckte, die niemand vermutet hatte, und kam schließlich zu dem Schluß, daß Relg schlechte Zeiten erwarteten.
Er trabte nach vorn, um mit Tante Pol darüber zu sprechen, die vor sich im Sattel das Kind hatte.
»Es geht dich nichts an, Garion«, sagte sie. »Relg und Taiba können auch ohne deine Hilfe zurechtkommen.«
»Ich war nur neugierig, das ist alles. Relg bringt sich noch um, und Taiba ist ganz durcheinander wegen ihm. Was geht wirklich zwischen den beiden vor, Tante Pol?«
»Etwas sehr Notwendiges«, antwortete sie.
»Das könntest du von fast allem behaupten, das geschieht, Tante Pol.« Es war fast ein Vorwurf. »Du könntest sogar
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