Turm der Hexer
und ein schneidend kalter Wind heulte unablässig durch die Felsen und zerrte an den groben Murgogewändern, mit denen sie sich verkleidet hatten. Sie ritten weiter, bis sie ein gutes Stück in den Bergen waren. Einige Stunden vor Morgengrauen hielten sie an, um auszuruhen und auf den Sonnenaufgang zu warten. Als das erste schwache Licht am östlichen Horizont erschien, ritt Silk los und fand eine felsige Kluft, die sich zwischen zwei ockerfarbenen Steilhängen nach Nordwesten zog. Sobald er zurückkehrte, sattelten sie die Pferde und trabten davon.
»Die können wir jetzt auch loswerden, denke ich«, sagte Belgarath und zog seine Murgorobe aus.
»Ich nehme sie«, schlug Silk vor. »Die Kluft ist gleich dort drüben.« Er wies die Richtung mit der Hand. »Ich werde euch in ein paar Stunden wieder einholen.«
»Was hast du vor?« fragte Barak ihn.
»Ich werde noch ein paar Meilen falscher Spuren legen«, antwortete Silk. »Dann komme ich zurück und achte darauf, daß ihr keine Spuren hinterlassen habt. Es wird nicht lange dauern.«
»Hättest du gerne Gesellschaft?« bot der große Cherek ihm an.
Silk schüttelte den Kopf. »Ich kann mich allein schneller bewegen.«
»Sei vorsichtig.«
Silk grinste. »Ich bin immer vorsichtig.« Er nahm ihnen die Murgokleider ab und ritt nach Westen.
Die Klamm, in die sie ritten, schien ein bereits vor Jahrtausenden ausgetrocknetes Flußbett zu sein. Das Wasser hatte sich tief in die Felsen eingeschnitten und dabei Schicht um Schicht roter, brauner und gelber Erde freigelegt. Die Hufe ihrer Pferde klapperten sehr laut zwischen den steilen Hängen, und der Wind pfiff und stöhnte durch die Klamm.
Taiba lenkte ihr Pferd neben Garions. Sie zitterte, obwohl sie den Mantel, den er ihr gegeben hatte, fest um die Schultern gewickelt hatte.
»Ist es immer so kalt?« fragte sie, die großen, violetten Augen weit aufgerissen.
»Im Winter schon«, antwortete er. »Im Sommer ist es hier bestimmt sehr heiß.«
»In den Sklavenquartieren war es immer gleich«, erzählte sie. »Wir wußten nie, welche Jahreszeit gerade war.«
Das gewundene Flußbett machte einen scharfen Knick nach rechts, und plötzlich waren sie dem Licht der soeben aufgegangenen Sonne ausgesetzt. Taiba rang nach Atem.
»Was ist?« fragte Garion schnell.
»Das Licht«, rief sie und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Es ist wie Feuer in meinen Augen.«
Relg, der unmittelbar vor ihnen ritt, beschirmte ebenfalls seine Augen. Er sah über die Schulter zurück zu der Maragerfrau. »Hier«, sagte er. Er nahm einen der Schleier, die er sich für gewöhnlich vor die Augen band, wenn sie direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt waren, und reichte ihn ihr. »Verhülle dein Gesicht damit, bis wir wieder im Schatten sind.«
»Danke«, sagte Taiba und band sich das Tuch um. »Ich wußte nicht, daß die Sonne so hell sein kann.«
»Du wirst dich daran gewöhnen«, sagte Relg. »Aber es dauert seine Zeit. Versuche, deine Augen in den ersten Tagen zu schützen.« Er wollte sich schon umdrehen und weiterreiten, sah sie dann aber noch einmal neugierig an. »Bist du vorher noch nie in der Sonne gewesen?«
»Nein«, antwortete sie. »Andere Sklaven haben mir aber davon erzählt. Die Murgos benützen keine Frauen in ihren Arbeitslagern, deswegen war ich nie außerhalb der Sklavengefängnisse. Es war dort unten immer dunkel.«
»Es muß schrecklich gewesen sein.« Garion schauderte.
Sie zuckte die Achseln. »Die Dunkelheit war nicht so schlimm. Es war das Licht, das wir fürchteten. Licht bedeutete, daß die Murgos mit ihren Fackeln kamen, um einen von uns zu holen, der dann im Tempel geopfert werden sollte.«
Ihr Weg machte wieder eine Biegung, und sie verließen das gleißende helle Sonnenlicht. »Danke«, sagte Taiba nochmals, nahm den Schleier von den Augen und hielt ihn Relg hin.
»Behalte ihn«, sagte er. »Du wirst ihn wahrscheinlich noch brauchen.« Seine Stimme wirkte seltsam gedämpft, und in seinen Augen lag eine ungewohnte Sanftheit. Als er sie ansah, kroch der gehetzte Ausdruck wieder über sein Gesicht.
Seit sie Rak Cthol verlassen hatten, beobachtete Garion die beiden insgeheim. Er wußte, daß Relg trotz aller Anstrengungen die Augen nicht von der Maragerfrau wenden konnte, die er gezwungenermaßen aus der Höhle befreit hatte, die sonst ihr Grab geworden wäre. Obwohl Relg noch immer ständig über Sünde lamentierte, besaßen seine Worte nicht mehr das Gewicht völliger Überzeugung, statt dessen wirkten
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