Turm der Hexer
sehr sanfter Stimme.
»Deine Aufgabe ist vollbracht, Botschaft. Du darfst das Auge jetzt weitergeben.«
Der kleine Junge strahlte vor Freude, drehte sich um und hielt Garion das glühende Auge hin. Verständnislos starrte Garion auf den feurigen Stein. Er konnte ihn nicht nehmen. Das Auge zu berühren bedeutete den Tod.
»Strecke dein Hand aus, Belgarion, daß du dein Geburtsrecht empfangen mögest von dem Kind, das es dir gebracht.« Es war die vertraute Stimme, und doch war sie es nicht. Als diese Stimme ertönte, wäre eine Weigerung unmöglich gewesen. Garions Hand streckte sich aus, ohne daß er sich überhaupt bewußt gewesen wäre, sie zu bewegen.
»Botschaft!« erklärte das Kind und legte das Auge fest in Garions ausgestreckte Hand. Garion spürte die seltsame, sengende Berührung des Mals auf der Handfläche. Es lebte! Er konnte das Leben darin fühlen, als er in blanker Verständnislosigkeit auf das lebendige Feuer starrte, das er in den bloßen Händen hielt.
»Setze das Auge zurück auf das Schwert des Rivanischen Königs«, wies ihn die Stimme an, und Garion gehorchte sofort und ohne zu überlegen. Er stieg auf den Sitz des Basaltthrones und von dort auf den breiten Sims, der durch die Lehne gebildet wurde. Er reckte sich, hielt sich an dem großen Schwertgriff fest und setzte das Auge auf den Schwertknauf. Es gab einen schwachen, doch deutlich hörbaren Klang, als das Auge und Schwert eins wurden, und Garion fühlte, wie die lebendige Kraft des Auges durch den Schwertgriff in seine Hand strömte. Die große Klinge begann zu glühen, und der schimmernde Klang steigerte sich um eine Oktave. Dann löste sich die gewaltige Waffe plötzlich von der Wand, an der sie so viele Jahrhunderte gehaftet hatte. Die Menge rang nach Atem. Als das Schwert sich löste, ergriff Garion das Heft mit beiden Händen, um es vor dem Herabfallen zu bewahren.
Was ihn aus dem Gleichgewicht brachte, war die Tatsache, daß es kein spürbares Gewicht hatte. Das Schwert war so groß, daß er eigentlich nicht hätte imstande sein dürfen, es festzuhalten, geschweige denn hochzuheben, aber als er sich breitbeinig Halt suchte, die Schultern gegen die Wand gepreßt, hob sich die Spitze des Schwertes ganz leicht, bis die große Klinge aufrecht vor ihm war. Er starrte sie verwundert an und spürte ein seltsames Klopfen in den Händen, als er den Griff umklammert hielt. Das Auge flammte auf und begann zu pulsieren. Dann, als der schimmernde Klang zu einem mächtigen, jubelnden Crescendo anschwoll, brach aus dem Schwert des Rivanischen Königs eine große, sengende, blaue Flamme hervor. Ohne zu wissen warum, hielt Garion das flammende Schwert mit beiden Händen über den Kopf und sah mit Staunen zu ihm hinauf.
»Aloria frohlocke!« rief Belgarath mit Donnerstimme, »denn der Rivanische König ist zurückgekehrt! Heil Belgarion, König von Riva und Herr des Westens!«
Doch mitten in dem darauffolgenden Tumult, in dem Chor von Millionen und Abermillionen Stimmen, die sich im Jubel von einem Ende des Universums bis zum anderen erhoben, tönte finster ein eisernes Dröhnen, als ob die rostige Tür eines dunklen Grabes plötzlich aufgeflogen wäre, und dieses Dröhnen ließ Garions Herz erstarren. Eine Stimme schallte hohl aus dem Grab, und sie stimmte nicht in den allgemeinen Jubel mit ein. Aus seinem jahrhundertelangen Schlummer gerissen, erwachte die Stimme in dem Grab tobend und schrie nach Blut.
Völlig betäubt stand Garion mit seinem hocherhobenen Flammenschwert, als die versammelten Alorner mit einem stählernen Rasseln ihre Schwerter zogen und sie zum Gruß erhoben.
»Heil, Belgarion, mein König«, rief Brand, der Rivanische Hüter, sank auf die Knie und hob sein Schwert. Seine vier Söhne knieten hinter ihm, ebenfalls mit erhobenen Schwertern. »Heil Belgarion, König von Riva!« riefen sie.
»Heil Belgarion!« Der mächtige Schrei ließ die Halle des Rivanischen Königs erzittern, und ein Wald aus erhobenen Schwertern glitzerte in dem feurig blauen Licht der flammenden Klinge in Garions Händen. Irgendwo in der Festung begann eine Glocke zu läuten. Als die Neuigkeit sich wie ein Lauffeuer in der atemlosen Stadt verbreitete, fielen andere Glocken ein, und ihr bronzener Jubel hallte von den Felsenklippen wider und verkündete den eisigen Wassern des Meers der Winde die Rückkehr des Rivanischen Königs. Nur eine in der Halle jubelte nicht. In dem Moment, in dem das Aufflammen des Schwertes unwiderruflich Garions Identität
Weitere Kostenlose Bücher