Turm der Hexer
war vorüber jedenfalls für den Augenblick. Die Wintersonne schien hell, der Morgenhimmel war strahlend blau. Der junge Rivanische König starrte eine Zeitlang gedankenverloren aus dem Fenster.
Irgend etwas nagte an seinen Erinnerungen, etwas, das er einmal gehört, aber wieder vergessen hatte. Er glaubte, daß es etwas mit Prinzessin Ce’Nedra zu tun hatte. Das kleine Mädchen war fast unverzüglich aus der Halle des Rivanischen Königs geflüchtet, nachdem das Schwert so flammend seine Identität preisgegeben hatte. Er war ziemlich sicher, daß das alles zusammenhing. Was immer es auch war, an das er sich zu erinnern versuchte, es hatte direkt mit ihrer Flucht zu tun.
Bei einigen Leuten wäre es vielleicht besser gewesen, die Dinge sich etwas beruhigen zu lassen, bevor man sie bereinigen wollte, aber Garion wußte, daß das für Ce’Nedra nicht zutraf. Man durfte nicht zulassen, daß sich etwas in ihren Gedanken festfraß. Das machte alles nur noch schlimmer. Seufzend begann er sich anzuziehen. Als er zielstrebig durch die Flure ging, begegnete man ihm mit verwunderten Blicken und hastigen Verbeugungen. Bald schon erkannte er, daß ihn die Ereignisse des vorhergehenden Tages für immer seiner Anonymität beraubt hatten. Jemand, Garion konnte nie sein Gesicht sehen, ging sogar so weit, ihm zu folgen, vermutlich in der Hoffnung, ihm zu Diensten sein zu können. Wer es auch war, er blieb immer in angemessener Entfernung, aber Garion konnte ihn manchmal weit hinten in einem Gang sehen ein graugekleideter Mann, der sich auf seltsam lautlosen Füßen bewegte. Es behagte Garion nicht, verfolgt zu werden, aus welchem Grund auch immer, aber er widerstand dem Drang, umzukehren und den Mann fortzuschicken.
Prinzessin Ce’Nedra hatte einige Räume nah bei Tante Pol zugewiesen bekommen, und Garion riß sich zusammen, als er die Hand hob, um an die Tür zu klopfen.
»Eure Majestät«, grüßte ihn Ce’Nedras Zofe mit einem erstaunten Knicks.
»Würdest du bitte Ihre Hoheit fragen, ob ich mit ihr sprechen könnte?«
»Gewiß, Eure Majestät«, erwiderte das Mädchen und eilte in das angrenzende Zimmer.
Er hörte ein kurzes Stimmengemurmel, dann fegte Ce’Nedra herein. Sie trug ein schlichtes Kleid und war so blaß wie schon am Tag zuvor.
»Eure Majestät«, grüßte sie ihn mit eisiger Stimme, dann knickste sie mit einer steifen Verbeugung, die Bände sprach.
»Irgend etwas stört dich«, sagte Garion geradeaus, »willst du es nicht aussprechen?«
»Wie Eure Majestät wünscht.«
»Muß das ein?«
»Ich weiß nicht, wovon Eure Majestät spricht.«
»Meinst du nicht, wir kennen uns gut genug, um ehrlich zu sein?«
»Natürlich. Ich sollte mich daran gewöhnen, Eurer Majestät sogleich zu gehorchen.«
»Was soll das nun wieder heißen?«
»Tu doch nicht so, als wenn du das nicht wüßtest«, fuhr sie ihn an.
»Ce’Nedra, ich habe nicht die blasseste Ahnung, wovon du redest.«
Sie sah ihn mißtrauisch an, dann wurden ihre Augen etwas weicher. »Vielleicht stimmt das sogar«, murmelte sie. »Hast du je den Vertrag von Vo Mimbre gelesen?«
»Du selbst hast mich lesen gelehrt«, erinnerte er sie, »vor sechs oder acht Monaten. Du kennst jedes Buch, das ich gelesen habe. Die meisten hast du mir selbst gegeben.«
»Das ist allerdings wahr«, sagte sie. »Warte einen Moment. Ich bin gleich zurück.« Sie ging kurz in das benachbarte Zimmer und kehrte mit einem zusammengerollten Pergament zurück.
»Ich werde es dir vorlesen«, sagte sie. »Einige Worte sind etwas schwierig.«
»So dumm bin ich nun auch nicht«, protestierte er.
Aber sie hatte bereits begonnen. »›… und wenn es sein soll, daß der Rivanische König zurückkehrt, dann soll er Herrscher sein, und wir alle wollen ihm Treue schwören als Großkönig über die Reiche des Westens. Und er soll eine kaiserliche Prinzessin Tolnedras zur Gemahlin haben, und…‹«
»Moment mal«, unterbrach Garion sie mit erstickter Stimme.
»Hast du etwas nicht verstanden? Ich fand alles ganz klar.«
»Wie war der letzte Satz noch?«
»›… er soll eine kaiserliche Prinzessin Tolnedras zur Gemahlin haben, und…‹«
»Gibt es noch andere Prinzessinnen in Tolnedra?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Dann heißt das…« Er starrte sie mit offenem Mund an.
»Genau.« Es klang, als ob eine stählerne Falle plötzlich zuschnappte.
»Bist du deshalb aus dem Saal gerannt?«
»Ich bin nicht gerannt.«
»Du willst mich nicht heiraten.« Es war fast ein
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