Turm der Lügen
seinem Sterbebett bereut, auch ihm gegenüber konsequent geblieben zu sein.
Adrien und Séverine spürten zur gleichen Zeit, dass sie von Mahaut beobachtet wurden.
»Ich traue ihr keinen Schritt über den Weg«, flüsterte er grimmig.
»Mir ist auch nicht wohl in ihrer Nähe«, antwortete Séverine ebenso leise. »Lass uns diesem Trubel sobald wie möglich entfliehen.«
In der übervölkerten Festung gab es so gut wie keine Ecke, in der man alleine sein konnte. Séverine führte Adrien schließlich in die Kapelle an der Burgmauer. Mahauts Kaplan feierte im Gefolge seiner Herrin, der kleine Gebetsraum gehörte zu dieser Stunde nur ihnen.
Bis auf zwei dicke Kerzen, die rechts und links des Altars brannten, war es dunkel. Sie schmiegte sich glücklich an Adriens Schulter. Ruhe und Geborgenheit überkamen sie. Der Wunsch, sich nicht mehr von ihm trennen zu müssen, wurde übermächtig.
»Vor dem Altar vereint, welch bewegender Anblick.«
Aus der Dunkelheit außerhalb der Kerzenlichtkegel tauchte Mahaut urplötzlich vor ihnen auf.
Adriens Hand drückte beruhigend Séverines Arm.
»Ist es nicht nur recht und billig, dem Himmel dafür zu danken, dass Séverine und Jeanne nicht länger die Verbannung in Dourdan erleiden müssen?«, trat er Mahaut gelassen entgegen.
»Dieselbe Dankbarkeit empfinde ich auch, Baron. Ihr hättet mich falsch verstanden, würdet Ihr glauben, ich hätte nicht genau das zum Ausdruck bringen wollen.«
Mahaut kam ihnen so nahe, dass sie eingehüllt wurden von den schweren Wolken ihres Duftwassers aus Moschus und Rosen.
»Man kann den Allmächtigen nicht genügend für seine Güte preisen, Baron. Nicht zuletzt auch dafür, dass er es mir erlaubt hat, ein verlorenes Kind wieder in die Arme schließen zu dürfen.«
Séverine presste die Lippen aufeinander.
Adrien war sofort klar, dass Mahaut die wiederholte Anrede mit seinem Adelstitel bewusst gewählt hatte. Was bezweckte sie damit? Sollte es Schmeichelei sein? Nein, das passte nicht zu ihr.
»Ihr vergesst, dass ich den Grund für den Verlust dieses Kindes sehr wohl kenne«, antwortete er kalt. »Appelliert nicht an meine Anteilnahme. Sie hält sich in Grenzen.«
»Ganz der Vater«, säuselte Mahaut liebenswürdig. »Ein Freund klarer Fronten. Ich schätze dergleichen. Erlaubt mir ein letztes Wort, ehe wir die Vergangenheit für immer ruhen lassen. Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet. Séverine ist in Faucheville zu einer bemerkenswerten Frau herangewachsen. Meine Entscheidung von damals bereue ich freilich zutiefst.«
Séverine hielt den Blick beharrlich gesenkt. Alle Sinne warnten sie vor einer Mahaut, die Demut zeigte und mit Dankesworten schmeichelte. Sie wollte etwas von Adrien, der ihre schwülstigen Worte mit einem Nicken quittierte.
»Es ist der Dankrede nicht wert. Auch ich will nicht mehr darüber reden«, erwiderte er kurz angebunden.
»Und doch habe ich noch ein Problem. Ihr könnt es sicher nachvollziehen. Wie soll ich Séverines Zukunft sichern, ohne Staub aufzuwirbeln? Unser zänkischer König würde sich mit Vergnügen auf einen neuen Skandal stürzen, der uns alle in zusätzliche Schwierigkeiten bringt. Die Wahrheit darf nicht ans Licht kommen.«
»Spart Euch die Mühe«, warf Séverine ungeduldig ein. »Ihr braucht Euch nicht mit meiner Zukunft zu befassen. Ehe Jeanne nicht wieder an Philippes Seite in Paris sein kann, ist es ohnehin müßig, über meinen Verbleib zu spekulieren.«
»Sag das nicht, Kind.« Mahaut ergriff ihre Hände und ließ nicht zu, dass sie sich losriss. »Wir müssen einen Weg finden, der dich in den Rang erhebt, der dir durch deine Geburt zusteht. Der einzige Weg, der dies in Ehren ermöglicht, ist eine passende Eheschließung.«
Mit einem Schlag wurde beiden klar, was Mahaut sagen wollte.
Sie bot Séverine Adrien zur Gemahlin an.
Zornige Röte stieg Séverine ins Gesicht.
»Hört auf! Ich lasse nicht zu, dass Ihr Adrien unter Druck setzt. Er zählt nicht zu Euren Vasallen wie sein Vater. Er dient Philippe und dem König, nicht Euch. Ihr könnt ihm keine Befehle erteilen. Mit seiner Heirat habt Ihr noch weniger zu schaffen als mit meiner.«
»Gemach, Kind, gemach.« Der Temperamentsausbruch mahnte Mahaut zur Vorsicht. »Wollten wir nicht die Vergangenheit ruhen lassen?«
Obwohl es Séverine schwerfiel, sich wieder zu beruhigen, gelang es ihr halbwegs.
»Erlaubt, dass wir uns entfernen, Madame. Ich sehe nicht, dass diese Unterhaltung zu etwas führt«, sagte sie schließlich,
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