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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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deutete eine Verneigung an und ging zum Ausgang des kleinen Gotteshauses.
    Sie verweigerte Mahaut, wie stets, eine persönliche Anrede. Das Wort Mutter hatte sie nur ein einziges Mal, in Dourdan, in den Mund genommen. Danach nie wieder.
    »Geht nur«, hörte sie Mahaut hinter ihrem Rücken zu Adrien sagen. »Es ist richtig. Derlei Entscheidungen bedürfen eines gründlichen Nachdenkens. Ihr könnt jedoch gewiss sein, dass Euch von meiner Seite keine Steine in den Weg gelegt werden. Auch beim König würde ich für Euch sprechen. Ich bin den Flavys von jeher verbunden.«
    Als Adrien wieder an ihrer Seite war, erklärte ihm Séverine ihren Zorn. »Ich will nicht, dass sie Einfluss auf mein Leben nimmt. Sie hat jedes Recht dazu verspielt. Ich bin nur Jeanne zuliebe bereit, höflich zu ihr zu sein.«
    »Fasse dich«, riet Adrien zärtlich. »Ich für meinen Teil nehme jeden Verbündeten, den ich für unsere Sache haben kann. Sogar Mahaut.«
    Séverine lächelte ihn an, obwohl ihre Zweifel nicht ausgeräumt waren.
    »Glaubst du wirklich, dass Mahaut sich beim König für uns verwenden würde? Wie sollte das gehen? Er will sie nicht bei Hofe sehen.«
    »Louis ist unberechenbar und wetterwendisch. Niemand weiß heute, was er morgen beschließt. Er braucht Soldaten für seinen geplanten Feldzug. Wenn ihm Mahaut eine Hundertschaft Bogenschützen und erfahrene Ritter bietet, wird nicht einmal ihr Neffe und Erzfeind Artois den König davon abhalten, sie wieder in die Arme zu schließen.«
    »Wirst du …« In jäher Besorgnis brach Séverine ab und begann von neuem. »Musst du an diesem Feldzug teilnehmen?«
    »Der Zänker erwartet, dass auch Philippe mit seinen Truppen nach Flandern zieht.«
    »Aber im vergangenen Jahr …«
    Adrien unterbrach sie. »War mein Vater der Baron von Flavy.«
    Er wusste, worauf sie anspielte. Sein Vater war während des letzten Feldzuges in Paris geblieben. Die Erklärung dafür war einfach.
    »Er hat sich beim König vom Krieg freigekauft. Das ist unter Umständen möglich, aber teuer. Ich kann es mir nicht leisten. Auch Faucheville hat unter dem Hungerwinter gelitten. Ich habe den größten Teil meiner Finanzreserven aufgebraucht.«
    Séverines Zorn verflog, dafür stellten sich Trauer und Furcht ein.
    Würde sie ihn wiedersehen, wenn er Gray verließ?
    * * *
    Die kleine Marguerite und die kleine Jeanne hingen an den Lippen ihrer Mutter, die ihnen von ihrer Reise mit Philippe nach Dôle berichtete. Bella nuckelte am Daumen. Blanche schlief in Séverines Armen. Sogar Mahaut hatte sich zu ihren Töchtern und Enkeltöchtern gesellt. Jeanne konnte sich nicht erinnern, in Gegenwart ihrer Mutter schon einmal solchen Frieden verspürt zu haben.
    Sollte es möglich sein, dass der Tod des armen Robert und Blanches Unglück die kämpferische Frau tatsächlich verwandelt hatten?
    »An allen Wegen standen die Menschen und jubelten. Sie haben sogar das Wappen von Burgund, den goldenen Löwen und die königlichen Lilien, aus Hunderten von Blüten nachgebildet. Es sah ganz bezaubernd aus. Ein Meer aus Vergissmeinnicht und Butterblumen. Ich wünschte, ihr hättet es sehen können«, setzte sie ihre Erzählung fort.
    »Warum hast du das Wappen nicht mitgebracht«, rief Marguerite enttäuscht.
    »Weil es längst verwelkt gewesen wäre bis zu meiner Rückkehr, du Dummerle.«
    »Weiter, Mama! Wie ging die Reise weiter«, drängelte Jeanne.
    Sanft strich sie ihrer Ältesten über den Scheitel.
    »Am Abend dröhnte mir der Kopf von all dem Schauen und Feiern. Dabei gab uns Auxonne nur einen bescheidenen Vorgeschmack auf den Empfang in Dôle. Dort war die ganze Stadt schon seit Sonnenaufgang auf den Beinen. Die Glocken aller Kirchen läuteten für uns. Der Jubel der Bevölkerung war so laut, dass wir die Ansprache des Erzbischofs kaum verstanden.«
    Seit Jeanne vor vier Tagen von der Rundreise zurückgekehrt war, wurden ihre Töchter nicht müde, diesen Schilderungen zu lauschen. Ihr gefiel es ebenfalls, die aufregenden Tage immer wieder aufs Neue zum Leben zu erwecken. Es tröstete sie über den Abschied von Philippe hinweg.
    Das Pfingstfest warf seine Schatten voraus. Obwohl Philippe seine Abreise bis zum letzten Moment hinausgezögert hatte, war sie doch unvermeidlich gewesen. Die Notwendigkeit seiner Anwesenheit im Rat des Königs stand außer Frage. Immer wieder war sie in Gedanken bei ihm.
    Sie musste ihre Erzählung unterbrechen, weil Elaine die Ankunft eines Kuriers meldete.
    Mahaut reagierte blitzartig.

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