Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
Vom Netzwerk:
sich auf.
    »Ich bin erleichtert, mich in Gray selbst von Séverines Wohlergehen überzeugen zu können. Du weißt, Mahaut kann nicht leben, ohne Intrigen zu spinnen. Wenn sie Séverine mütterliche Gefühle vorspielt, bedeutet das nur, dass sie irgendetwas plant.«
    »Du siehst die Dinge zu schwarz. Mahaut hat im Augenblick andere Sorgen. Sie darf sich keine neuen Feinde machen.«
    »Trotzdem bin ich froh.«
    »Dann triff deine Vorbereitungen für die Reise.«
    * * *
    Eine Woche später ritt Philippe mit Adrien und seinem Gefolge in Gray ein.
    Das kleine Städtchen am Ufer der Saône wurde von der mächtigen Burg überragt. Auf einem Plateau über dem Fluss erbaut, beherrschte sie weithin sichtbar das Land. Massive Mauern, Wehrgänge und Wachtürme sicherten den großen Palas. Die Besatzung bestand aus einer Hundertschaft Bogenschützen, zwei Dutzend bewaffneten Kriegsknechten und einer großen Anzahl an Rittern, die Mahaut seit Jahren treu dienten.
    Im Burghof kam es bei ihrer Ankunft ob all der Bogenschützen, Kriegsknechte, Ritter und Gefolgsleute zu so großem Gedränge, dass jeder Überblick verlorenging. Erst in der Halle des Wohngebäudes trafen Philippe und Adrien endlich auf Mahaut.
    Die Tatsache, dass er weder Jeanne noch Séverine an ihrer Seite fand, besorgte Philippe. Sollte Adrien am Ende doch recht behalten?
    »Ich sehe nur Eure Ehrendamen, Mutter. Wo ist Jeanne? Wo sind meine Töchter?«, unterbrach er ihre wortreiche Freudenbekundung.
    »Sie erwartet Euch«, entgegnete Mahaut, hörbar pikiert. »Es ist ihr Wunsch, Euch nach so langer Zeit alleine zu empfangen. Elaine wird Euch unverzüglich zu ihr geleiten.«
    Sie winkte einer Ehrendame. Dann fasste sie Adrien ins Auge, der Philippe nicht von der Seite wich. Auffordernd hielt sie ihm die Hand zum Gruß entgegen.
    »Leistet mir in der Zwischenzeit Gesellschaft, Baron. Es ist an der Zeit, dass wir ein paar Worte miteinander reden. Bei der Beisetzung Eures Vaters im vergangenen Winter bot sich keine Gelegenheit.«
    Adrien tat der Höflichkeit Genüge, obwohl er Philippe viel lieber begleitet hätte. Wo Jeanne war, befand sich bestimmt auch Séverine.
     
    Die Ehrendame führte Philippe eine gewundene Steintreppe hinauf, in eine Kammer mit Bogenfenstern. Sie war leer. In breiten Bahnen spiegelte sich die Aprilsonne auf glasierten Fliesen. Die Tür zum Söller stand offen.
    Wo war Jeanne? Wieso ließ Mahaut ihn in ein leeres Gemach führen?
    Jeanne kam vom Söller. Sie hatte Philippes Ankunft aus luftiger Höhe beobachtet.
    »Philippe!«
    Er hatte seine Frau zum letzten Mal kurz vor dem Ende ihrer Schwangerschaft in Dourdan gesehen. Sie kam ihm auf den ersten Blick ungewöhnlich zierlich vor, schmal, feingliedrig. Sogar ihre Stimme hatte an Volumen verloren.
    Er eilte auf sie zu, wollte sie in die Arme nehmen, aber seine erhobenen Hände sanken herab, ehe er den Vorsatz in die Tat umsetzen konnte. Der tiefe Ernst in ihren Augen berührte und verunsicherte ihn.
    »Was ist passiert? Ich finde nur Trauer in deinem Blick. Freust du dich nicht darüber, dass wir uns endlich wiedersehen?«
    »Wie kannst du das annehmen? Ich habe mich nur die ganze lange Zeit gefragt, ob du mich denn noch an deiner Seite duldest? Ich trage den Makel eines schrecklichen Skandals auf der Stirn.«
    »Jeanne!« Philippe nahm sie an den Schultern und zog sie stürmisch an sich. »Kein Wort mehr, Jeanne ! Ich trage das Herz nicht auf der Zunge, aber glaube mir: Die Welt ist ein öder und verzweifelter Ort ohne dich, ohne deine Liebe.«
    Zu fühlen, wie Jeannes Widerstand langsam schwand, wie sie sich in seinen Armen anschmiegte, genügte ihm als Antwort. Die Stirn auf ihren Scheitel gesenkt, verharrten sie schweigend miteinander.
    Später würden sie erzählen, erklären und fragen. Die Kinder küssen. Séverine begrüßen. Über Mahaut und ihre Ränke sprechen. Die gewohnte Vertrautheit von neuem herstellen.
    * * *
    Noch nach Wochen in Gray hatte Séverine sich nicht an die verschwenderische Hofhaltung Mahauts gewöhnt. Auch heute bog sich der Tisch nahezu wieder unter den Speisen. Wachteln, Kapaune, Fasane, Amselpastetchen, Schalen und Schüsseln voller Ragouts und Würzbrühen eröffneten in endloser Folge das Begrüßungsmahl für die Gäste aus Paris. Das Stimmengewirr, die Essensdüfte, die prächtigen Gewänder der Damen gehörten dazu wie die Klänge der Musikanten auf der Empore.
    Séverine erdrückte dieser ganze Überfluss. Sie machte kehrt und verließ noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher