Turm der Lügen
nach kurzem Zögern.
Er verstand, weshalb Jeanne vor ihm und seinen Worten zurückwich. Es fiel ihr schwer, unter dem Dach Mahauts zu leben. In ihren Ohren musste der Befehl schroff und unverständlich geklungen haben. Er bemühte sich um eine Erklärung. »Du bist hier in größerer Sicherheit und Ungestörtheit. Deine Mutter hat gut daran getan, dich aus Vincennes fortzubringen. Von deiner Schwangerschaft lassen wir erst einmal nichts verlauten. Alle Erwartung konzentriert sich zurzeit ohnehin auf Clementias Kind. Wenn sie ein Mädchen zur Welt bringen sollte …«
»Die königliche Erbfolge muss unter solchen Umständen völlig neu geregelt werden.« Mahaut hatte alles blitzartig erfasst. »Sorgt Euch nicht um Jeanne und das Kind, das sie erwartet. Es wird uns auch weiterhin gelingen, diese Schwangerschaft geheimzuhalten.«
»Schon wieder eingesperrt«, seufzte Jeanne, als sie endlich unter vier Augen waren. »Du bist der Regent von Frankreich, und ich darf nicht an deiner Seite sein? Immer noch wegen des Skandals von Pontoise?«
»Davon kann keine Rede sein. Wir müssen vorsichtig agieren, weil ich ein Regent bin, der noch auf schwankendem Boden steht, Liebste. Valois und seine Parteigänger sind besiegt, aber nicht am Boden zerstört. Artois zum Beispiel hat seine ganzen Hoffnungen auf seinen künftigen Schwiegervater gesetzt. Er will seine Klagen gegen deine Mutter neu verhandeln lassen.«
»Schon gut.« Jeanne küsste ihn mit einem leisen, besänftigenden Laut. Sie sah ihm an, dass ihn die Erklärungen ermüdeten. Dass er mit den üblichen Kopfschmerzen kämpfte. »Gönn dir die Ruhe. Du bist völlig erschöpft. Vergiss für eine Nacht die Politik und ihre Fallgruben.«
* * *
Die Ratssitzung versammelte alle Parteien um einen Tisch. Valois, Evreux und Philippes Bruder Charles bildeten den sogenannten Regentschaftsrat. Er konnte ohne den Regenten nichts beschließen, aber er besaß die Macht, ihm Steine in den Weg zu legen. Heute waren die Regeln der Regentschaft zu bestimmen.
An der Dauer der Regentschaft entzündete sich die erste heftige Diskussion, obwohl es nur logisch war, das Amt des Regenten im Falle der Geburt eines Prinzen auf die Zeit bis zu dessen Volljährigkeit festzuschreiben. Doch es gab da auch eine königliche Prinzessin, deren Interessen gewahrt werden mussten. Marguerites Tochter, Jeanne von Navarra, die der Zänker in den
Tour de Nesle
abgeschoben hatte, war vor einer neugeborenen Prinzessin erbberechtigt, falls Clementia ebenfalls eine Tochter gebar.
»Der Bastard einer Ehebrecherin? Nie und nimmer!« Charles protestierte mit hochrotem Kopf. »Louis wollte nichts von ihr wissen. Sie ist nicht sein Kind.«
»Hast du den Mut, der Herzogin-Witwe Agnes von Burgund deine Zweifel ins Gesicht zu schleudern, Bruder?«, fragte Philippe kühl. »Sie ist Jeannes Großmutter. Sie trauert um ihre Tochter, die auf so undurchsichtige Weise in Château Gaillard aus dem Leben schied. Nie und nimmer wird sie zulassen, dass man jetzt ihre Enkelin verleumdet. Dieser Zwist trägt die Saat eines Bürgerkriegs in sich. Er könnte unser ganzes Land überziehen. Willst du das verantworten?«
Das Argument leuchtete sogar Valois ein. Noch lasteten die Kosten des vergangenen Flandernfeldzuges erdrückend auf der leeren Staatskasse. Niemand wollte einen neuen Krieg riskieren.
»Was soll das heißen?« Charles spürte, dass er auf verlorenem Posten stand. Er begann zu schreien. »Dass uns irgendwann ein Bastard regieren soll, wenn Clementia keinen Sohn zustande bringt?«
Philippe wartete gelassen ab, bis das Durcheinander der Ausbrüche, Erwiderungen und Proteste nachließ. Er stützte die Unterarme auf den Tisch und musterte die höchsten Repräsentanten des Königreiches, bis sie an dem Punkt waren, an dem er sie haben wollte.
»Da sich die Frage nach einer weiblichen Herrschaft noch nie gestellt hat, müsste zuerst einmal geklärt werden, ob sie überhaupt möglich ist. Frankreich wurde bisher ausschließlich von Königen regiert«, stellte er bestimmt fest. »Man muss die Gesetze genau prüfen, ehe eine Entscheidung in dieser Sache gefällt werden kann.«
Man einigte sich darauf, die Rechtsgelehrten der Universität von Paris mit dieser Prüfung zu beauftragen. Auch die Einigung über die Dauer seiner Regentschaft fiel schließlich in Philippes Sinne aus. Er würde in jedem Falle auch bis zur Volljährigkeit seiner Nichte Jeanne von Navarra die Regentschaft ausüben. Ungesagt blieb, dass er sich
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