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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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boten die Ungestörtheit, die Adrien suchte. Nach einem prüfenden Blick in alle Richtungen nickte er Séverine zu. »Jetzt können wir reden.«
    »Ich komme vom
Tour de Nesle.
Jeanne hat mich mit einem Brief zu ihrer Schwester Blanche geschickt.«
    »Zu ihrer Schwester? Der Turm gehört der Königin von Navarra.«
    »Ja, ich weiß. Blanche war bei ihr. Und zwei andere waren bei ihr. Zwei Männer.«
    Séverine umfasste schutzsuchend die eigenen Oberarme mit den Händen. Zögernd, stockend berichtete sie, so gut sie Worte fand, das Gesehene zu beschreiben.
    »Warum nur hat Jeanne mich dort hingeschickt?«, klagte sie vorwurfsvoll. »Warum musste ich Zeugin dieser schändlichen Unzucht werden? Ich habe mit der Kammerfrau gesprochen und ihr meinen Namen genannt. Egal, ob ich Jeanne pflichtgemäß davon berichte oder nicht, sobald der Skandal bekannt wird, wird sich die Frau an mich erinnern. Mein Name wird fallen, alle werden sagen, dass ich die Unzüchtigen verraten habe. Selbst wenn sie es abstreiten und mich der Lüge bezichtigen, das Unglück ist geschehen. Entweder werde ich am Ende für einen Verrat bestraft, der keiner ist, oder wegen lügnerischer, böser Nachrede. Hätte ich doch der Kammerfrau nur einfach den Brief gegeben. Sie wollte mich eigentlich gar nicht in den Turm gehen lassen.«
    »Wo ist dieser Brief?«
    Séverine wurde noch bleicher. Erst in diesem Augenblick erfasste sie den ganzen Umfang des Verhängnisses.
    »Gott helfe mir. Ich muss ihn verloren haben. Vermutlich liegt er auf dem Treppenabsatz vor dem Gemach, in dem das alles … Ich hielt ihn in der Hand, das weiß ich noch.« Sie stockte und klammerte sich haltsuchend an Adriens Wams. »Du musst mich nach Faucheville in Sicherheit bringen. Ich kann nicht zurück zu Jeanne.«
    »Beruhige dich, Séverine.« Sanft löste Adrien ihre verkrampften Finger aus dem Stoff. »Du musst in gar keinem Fall mit irgendjemandem über diesen Vorfall reden. Ja – du darfst es nicht. Du würdest dich in Lebensgefahr bringen. Deine Entscheidung, gleich zu mir zu kommen, war richtig. Ich werde selbst mit Jeanne sprechen und mit ihr beraten, wie und wo du am besten aufgehoben bist. Vertraue mir.«
    Die Wärme der Berührung tat gut. Seine Gegenwart besänftigte ihr aufgewühltes Gemüt. Séverine tat einen tiefen, befreienden Atemzug.
    Die Bewegung hob ihre Brüste und fesselte Adriens Blick. Er hasste sich selbst für die verräterische Reaktion seines Körpers, aber er konnte sie nicht unterdrücken. Alles war so anders gekommen. Er hatte erwartet, Erleichterung zu empfinden, wenn er Jeanne Séverine anvertraute, die Wohltat eines reinen Gewissens. Stattdessen plagten ihn Unruhe und verbotene Gelüste. Seit er sie das erste Mal in Gewändern erblickt hatte, die ihre Anmut unterstrichen und den Stallburschen in eine bezaubernde junge Frau verwandelten, übte sie eine Anziehungskraft auf ihn aus, die ihn selbst erschreckte.
    »Musste ich mich erst in Gefahr bringen, damit du wieder für mich da bist?«
    Adrien vernahm den unterschwelligen Vorwurf. Er gab keine Antwort. Was sollte er schon sagen? Dass ihr auch von ihm Gefahr drohte. Dass er nicht länger die kleine Schwester in ihr sehen konnte. Ihre spontanen Berührungen und ihre verlockende Nähe brachten ihn an die Grenze seiner Selbstbeherrschung.
    Das fehlt ihr noch, dass du sie mit deinen lüsternen Vorstellungen verfolgst,
verspottete er sich stumm.
Siehst du nicht, wie sehr sie der Anblick des Liebesspiels erschüttert hat, dessen Zeugin sie unverhofft geworden ist? Sie kennt weder Leidenschaft noch Verlangen.
    Séverine respektierte wie üblich sein Schweigen. Vertrauensvoll wartete sie auf seine Entscheidungen. Hatte sie eine andere Möglichkeit, als ihm blind zu folgen?
    Nein.
    Adrien glaubte zu ahnen, was ihr durch den Kopf ging.
    »Ich kann nicht mit dir nach Faucheville fliehen, versteh das doch. Eine Flucht würde dich sogar ohne einen Grund verdächtig machen.«
    »Dann wirst du mich zu Jeanne bringen?«
    »Dort ist jetzt dein Zuhause.«
    Er sah auf ihren gesenkten Kopf hinab und ließ von allen seinen Gefühlen allein das Mitleid zu. Sie war geradlinig, unschuldig und rein. Eigenschaften, die man bei Hofe selten fand. Eben diese Redlichkeit machte sie so gänzlich hilflos. Sie verdiente allen Schutz der Welt. Er wollte sie behüten, auch vor den eigenen Wünschen.
    Wie ein Kind nahm er sie an die Hand und führte sie durch das dunkle Paris.
    * * *
    Adrien vergewisserte sich, dass die Tür

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