Turm der Lügen
hinter ihm geschlossen war. Er bedachte Jeanne mit einem vorwurfsvollen Blick, ehe er sich an sie wandte.
»Ich habe Euch Séverine anvertraut, weil ich seit vielen Jahren der engste Vertraute Eures Mannes bin. Ich habe mich dabei ganz auf Euch verlassen. Séverine ist wie eine Schwester für mich. Meine Mutter hat sie wie ein eigenes Kind geliebt. Séverines Fröhlichkeit, ihre Tapferkeit und ihre Redlichkeit haben ihr zu Lebzeiten viel Freude geschenkt. Bis zu ihrem Tod war sie an ihrer Seite. Heute habe ich es bitter bereut, sie aus dieser heilen Welt herausgerissen zu haben. Warum habt Ihr sie dieser Gefahr ausgesetzt?«
Jeanne zuckte erkennbar zusammen, aber Adrien mäßigte weder seinen Ton noch seine Ausdrucksweise.
»Wo man geht und steht zerreißen sie sich die Mäuler darüber, dass Eure Schwester und Eure Base ständig in Begleitung von Gautier von Aunay und seinem Bruder Philippe zu sehen sind. Gautier ist der Schildknappe Eures Gemahls um alles in der Welt! Weil sie Euren Brief an Blanche persönlich abgeben wollte, hat Séverine heute im Turm alle vier zusammen angetroffen. Nackt. Beim ausschweifenden Liebesspiel. Einzelheiten möchte ich Euch ersparen. Séverine ist unerfahren und ohne jede Boshaftigkeit, weswegen ihre Schilderung zweifelsfrei stimmt. Sie ist völlig durcheinander und schier in Todesangst geraten. In ihrer Verzweiflung wusste sie nur einen Rat. Sie kam zu mir in den Palast. Zum Glück hat sie keiner der Beteiligten bemerkt, aber als sie vom Ort der Unzucht floh, hat sie den Brief auf dem Treppenabsatz fallen lassen.«
»Gütiger Himmel«, murmelte Jeanne. »Nicht in meinen schlimmsten Befürchtungen hätte ich angenommen, dass die beiden je so weit gehen würden. Ein Flirt, eine gefährliche Romanze, das ja. Aber doch keine Liebschaft, die die Glaubwürdigkeit königlicher Kinder aufs Spiel setzt. Ich mag nicht daran denken, was der König tut, wenn er davon Kenntnis erhält.«
»Er darf es niemals erfahren«, antwortete Adrien nachdrücklich. »Ihr müsst Euren ganzen Einfluss aufbieten, die beiden Damen zur Vernunft zu bringen. Sie stürzen sich ins Unglück, und wenn sie untergehen, reißen sie Euch mit in den Abgrund.«
Jeanne erblasste.
»Ganz Paris nennt die drei Schwiegertöchter des Königs in einem Atemzug. Werden zwei von ihnen des Ehebruchs bezichtigt, seid Ihr ebenfalls in höchstem Verdacht. Euer Ruf mag über jeden Tadel erhaben sein, aber der Skandal würde Euch unweigerlich mit in den Abgrund ziehen.«
Haltsuchend fasste Jeanne nach Adriens Arm und lehnte sich von plötzlichem Schwindel erfasst gegen ihn. »Philippe wird mich schützen.«
»Wird er sich gegen seine wütenden Brüder und den entrüsteten Vater zur Wehr setzen können? Ihr würdet mindestens der Mitwisserschaft beschuldigt. Philippe hat Feinde. Nicht zuletzt seinen älteren Bruder. Louis fürchtet seinen Scharfsinn. Er ist sich des Umstandes bewusst, dass der König lieber den Jüngeren, Besonneneren und Klügeren als Nachfolger auf dem Thron sehen würde. Wenn er eine Gelegenheit bekommt, Philippe zu schaden, wird der Zänker ohne Zögern zuschlagen. Es ist an Euch, die Königin von Navarra und Eure Schwester zur Ordnung zu rufen, ehe ein Unglück geschieht.«
Adriens Argumentation konnte Jeanne in keinem Punkt widersprechen. Aber allein die Vorstellung, sich mit Marguerite auseinandersetzen zu müssen, jagte ihr schon einen Schrecken ein. In Wortgefechten kämpfte ihre Schwägerin mit fliegenden Klingen.
»Ihr habt keine andere Wahl«, brach Adrien eindringlich das Schweigen.
»Und wenn ich nun meine Mutter bitte, mit Blanche und Marguerite ein ernstes Wort zu sprechen?«
Adrien schüttelte den Kopf. »Verzeiht, aber das kommt mir vor, als wolltet Ihr den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Zudem geht es auch darum, Séverine zu schützen. Sie war im Turm, das können wir nicht leugnen. Die Kammerfrau hat mit ihr gesprochen, aber sonst hat niemand sie gesehen. Der Brief wurde inzwischen sicher gefunden. Kann sein Inhalt Euch schaden? Könnt Ihr mir anvertrauen, was Ihr geschrieben habt?«
»Selbstverständlich. Es ist kein Geheimnis. Ich habe Blanche gebeten, mich unverzüglich aufzusuchen. Marguerites Einfluss ist nicht gut für sie. Ich wollte sie unter einem Vorwand von ihr fortlocken.«
»Bleibt bei diesem Entschluss! Macht Eurer Schwester und Eurer Schwägerin unmissverständlich klar, dass Ihr absolute eheliche Treue von ihnen fordert, weil der Klatsch, wenn er schon bis zu Euch
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