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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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zurücklegen. Für einen solchen Marsch waren sie nicht gerüstet.
    »Ihr werdet auf die anderen Wagen verteilt«, erklärte Adrien bestimmt. »Beeilt Euch. Wir dürfen keine Zeit verlieren, sonst können wir Maubuisson vor Sonnenuntergang nicht mehr erreichen. Ich nehme an, dass Ihr nicht am Wegesrand übernachten wollt.«
    Er tat sein Bestes, die erschrockenen Hofdamen auf die Wagen zu verteilen. Diplomatisch, aber unnachgiebig erzwang er Plätze für sie.
    Séverine beobachtete ihn dabei, als Julian sachte nach ihrer Hand griff.
    »Lasst mich Eure Wunde auswaschen«, bat er und führte sie zur Seite. Er hatte ein sauberes Stück Leinen aufgetrieben und benetzte es mit Wein aus seinem Trinkschlauch. Es brannte, als er die Verletzung berührte, aber sie ertrug es tapfer.
    Bis Adrien zu ihnen trat, war er fast fertig.
    »Jetzt ist es gut, kümmere dich um unsere Rösser«, wies er den Knappen an. »Aber schau vorher nach, ob sich in diesem Durcheinander noch eine Decke findet. Séverine kann nicht im zerrissenen Kleid reiten.«
    Erst jetzt bemerkte sie, dass im Vorderteil ihres Übergewandes ein Riss klaffte. Ihr Busen war nur noch von dünnem Leinenstoff bedeckt. Errötend legte sie die Hand darüber und blickte zu Adrien. Sein düsterer Blick brannte auf ihrem Handrücken.
    »Ich muss irgendwo hängengeblieben sein«, sagte sie betreten. Sie spürte seinen Gefühlsaufruhr und hielt ihn für Zorn.
    »Warum, in drei Teufels Namen, bist du nicht in der Stadt geblieben, wie ich es wollte?«, fuhr er sie an und winkte im selben Atemzug auch schon resigniert ab. »Nein, sag es nicht. Ich weiß schon jetzt, dass ich es nicht hören will. Du wirst auf meinem Pferd reiten. So ist klar, dass du unter meinem besonderen Schutz stehst.«
    Besseres hätte Séverine nicht widerfahren können. Den restlichen Weg mit Adrien reiten zu können war Glück im Unglück. Sie ließ sich von Julien auf das Pferd helfen, bedankte sich und zog den Schleier, den er im Reisewagen gefunden hatte, über das eingerissene Kleid. Hinter ihr schwang sich Adrien in den Sattel.
    Mit leisem Zungenschnalzen trieb er sein Ross neben der Straße am Ackerrand entlang. Nach kurzem Ritt schon passierten sie die Karren mit den Hofdamen. Aus den Augenwinkeln las Séverine das Erstaunen auf ihren Mienen. Keine von ihnen war ihr wohlgesinnt. Sie neideten ihr Jeannes Zuneigung und klatschten heimlich über ihre zweifelhafte Herkunft. Einige hatten sogar die Nase darüber gerümpft, dass sie den Wagen mit ihr teilen sollten. Sie nun so bevorzugt behandelt zu sehen, gab dem Tratsch zusätzlich Nahrung.
    Séverine entschlüpfte ein Seufzer.
    »Die Straße ist in einem grässlichen Zustand«, kam Adrien noch einmal auf den Unfall zu sprechen. »Der König gibt ein hohes Tempo vor. Er kann es kaum erwarten, seine geliebte Tochter in die Arme zu schließen.«
    »Warum hat er sie dann an einen König verheiratet, der ihr so übel mitspielt? Eine Tochter, die man liebt, will man doch glücklich sehen.« Séverine konnte sich den König nur schwer als liebenden Vater vorstellen.
    »Königstöchter und Frauen des Hochadels werden nicht zum Glücklichsein geboren«, entgegnete Adrien sachlich. »Ihr Leben hat nur einen Sinn. Sie sind Pfänder, Garantien und Sicherheiten. Allenfalls noch Mütter von Söhnen. Sieh Jeanne und ihre Schwester an. Niemand hat sie gefragt, ob sie Philippe und Charles zum Mann nehmen wollen. Man hat sie verheiratet, weil die Politik es verlangte und weil edles Blut sich nur mit edlem Blut vermischen soll.«
    »Aber Jeanne ist Philippe zugetan.«
    Sie erhielt keine Antwort, und sie ahnte, warum. Jeanne war ein schlechtes Beispiel. Vermutlich hätte sie sogar an Louis dem Zänker ein gutes Haar gefunden, wenn das Schicksal sie zu seiner Gemahlin bestimmt hätte. Sie zählte zu jenen seltenen Menschen, die immer das Gute in allem suchten. Jeanne wollte nicht einmal glauben, dass Marguerites Kammerfrau eines unnatürlichen Todes gestorben sein könnte.
    Séverine schauderte wieder bei dem Gedanken daran. Ihre Bewegung übertrug sich auf Adrien, der sie mit einem Arm hielt. Sein Griff um ihre Taille wurde fester. Ohne darüber nachzudenken, schmiegte sie sich rückwärts in diese halbe Umarmung und legte den Kopf an seine Schulter.
    Adrien sah auf sie hinab. Widersprüchliche Gefühle stiegen in ihm auf. Seit er sich zum Beschützer Séverines gemacht hatte, ging es drunter und drüber in seinem Leben. Die Sorge um ihre Sicherheit war ihm mittlerweile

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